Der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie am 17. Mai ist in unserer bunten Gesellschaft zu einem wichtigen Gedenktag geworden. Immer mehr Menschen bekennen sich zu ihrer sexuellen Identität, und wollen sichtbar sein. Leider ist dies oft mit großen Herausforderungen verbunden, denn noch ist immer Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie fest in den Köpfen der Menschen verankert. Gerade in der konservativ-geprägten kurdischen Community ist es besonders schwer, sich zu outen. So auch für Derya*. Sie ist Kurdin und sie ist Lesbe. Die 21-Jährige kommt ursprünglich aus Slemani (Südkurdistan), ist in Stuttgart geboren und
aufgewachsen. Derya studiert Jura. Die Kurdische Gemeinde Deutschland führte anlässlich des IDAHOBIT 2020 ein Interview mit ihr, in dem sie uns Einblicke in ihre Gefühlswelt und in den tagtäglichen Kampf gegen Homophobie gewährte.
Ich möchte direkt mal mit der Tür ins Haus fallen: Du bist Kurdin und du bist lesbisch?
Genau.
Welche Reaktionen erhältst du, wenn du sagst du bist Lesbe? Nach dem Motto: „Krass?! Wie du bist Kurdin und Lesbe, wie geht das denn?“
Ich krieg das von sehr vielen zu hören. Eher weniger von eigenen Freunden, aber wenn ich mit Leuten aus unserem Kulturraum zu tun habe, dann heißt es „Boah krass, du bist die einzige kurdische Lesbe, die ich kenne“. Oder „Wie kann das eigentlich sein, wenn man Muslima und gay ist?“ Ich frage mich dann immer, was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Wenn du das schon mal ansprichst; viele behaupten, man könne nicht gleichzeitig muslimisch und homosexuell sein. Wie kannst du das für dich vereinbaren?
Ich weiß ganz genau, dass Gott jeden von uns erschaffen hat, genauso auch Homosexuelle. Ebenso gut weiß ich, dass wir nicht auf dieser Erde sind, um andere zu verurteilen. Deshalb finde ich es sehr problematisch, wenn Muslime mit dem Finger auf andere zeigen und sagen: „Das geht doch nicht.“ Letzten Endes befolge ich die fünf Pflichten des Islams, deshalb verstehe ich nicht, wie sich jemand für Gott hält, und sagt: „Ich bin mehr Moslem als du.“ Das finde ich sehr falsch und von solchen Leuten entferne ich mich dann auch.
Du sagtest, deine Freunde reagieren gelassen auf deine sexuelle Identität. Wie reagiert deine Familie darauf?
Mein Bruder hat auch ganz gelassen darauf reagiert. Ich weiß von meinen Eltern, dass sie sehr homophob sind. Mein Bruder und ich versuchen seit paar Jahren, einen Dialog mit ihnen zu finden und unsere Mutter dazu zu bringen, Schwule allgemein zu akzeptieren. Aber an dem Punkt sind wir noch nicht. Wenn ich mich outen würde, würde ich mich in Gefahr begeben.
Wie sieht es mit den Reaktionen in deiner Community aus, bzw. in welchen Communities bewegst du dich?
Früher war ich in einer eher homophoben Umgebung, deshalb habe ich mich in meiner Schulzeit nicht geoutet; einfach aus Angst, verstoßen zu werden. Jetzt bewege ich mich in einer sehr gemischten Community. Alle nehmen mich so, wie ich bin; niemand hat ein Problem damit.
Kürzlich kam bei einer Umfrage heraus, dass 61% der Befragten in der Öffentlichkeit NICHT Händchen halten mit ihrem/ihrer gleichgeschlechtlichen Partner/in. Wie schaut es da bei dir aus?
Es kommt darauf an. Wenn ich jetzt am Rhein spazieren gehe, und nicht viele Menschen da sind, könnte ich da gerne auch Händchen halten. Aber es gab schon Situationen, wo ich mich tatsächlich von meiner Partnerin entfernen musste. Wenn ich z.B. merke, jemand schaut mich schon komisch an, kann ich nicht einschätzen, ob er homophob ist oder nicht. Da muss ich mich schon direkt von meiner Partnerin entfernen. Und da merke ich, ich kann nie mit Stolz durch die Gegend laufen und behaupten, ich bin gay und das ist meine Partnerin. Weil es da draußen immer Leute geben wird, die eventuell homophob sein können und gewalttätig werden.
Wo begegnest du noch Homophobie, und in welcher Form?
Meistens ist es tatsächlich in der S- Bahn. Die krasseste Form von Homophobie, die ich je erlebt habe, war tatsächlich von Schwulen, als ich mit einer Frau unterwegs war. Ich gehe erst gar nicht in Gegenden, wo ich weiß, dass mir Homophobie begegnet, aber wenn ich auf einer Gay-Party bin, dann erwarte ich von der LGBTQIA*-Community, dass man akzeptiert wird und nicht, dass man mich da auch noch anpöbelt. Davon habe ich doch schon genug da draußen.
Vor welchen Herausforderungen stehst du in der Gesamtgesellschaft?
Dass ich mich ständig outen muss. Bisher waren die Reaktionen zwar positiv, aber wenn ich neue Leute kennenlerne, dann muss ich mich immer wieder outen. Das ist ziemlich anstrengend, sich jedes Mal outen zu müssen. Jedes Mal mit der Angst zu leben, soll ich mich jetzt outen oder nicht. Das macht keinen Spaß.
Wie ist es in der kurdischen Gesellschaft?
Unter manchen Jugendlichen ist es kein großes Problem; habe auch Kurd*innen kennengelernt, die selber lesbisch oder schwul sind. Es ist aber eine geschlossene Community. Unter sich. Wir wissen genau, wie gefährlich es ist, deshalb versuchen wir erst gar nicht da raus zu kommen. Wir können auch nicht aktiv werden. Wenn da irgendwas rauskommt, kann es sehr gefährlich werden. Es gibt Personen, mit denen können wir offen darüber reden, aber es gibt welche, da sollte man es besser nicht sagen. Letztens kam wieder eine Heiratsanfrage an meine Mutter, die ich ablehnen musste. Nicht mit der Begründung, dass ich nicht auf einen Mann stehe, sondern mit dem Vorwand des Studiums. Ich komme ja jetzt in das heiratsfähige Alter, wodurch der Druck natürlich höher wird. Es ist nur eine
Frage der Zeit, wie lange man das durchhält und wie lange meine Mutter die Ausreden noch akzeptiert.
Wie kompensierst du diesen emotionalen Druck?
Manchmal stehe ich kurz davor, es einfach zu sagen. Letztens meinte meine Mutter „Wenn ich Präsidentin wäre, würde ich alle Homosexuellen abschlachten.“ Da wollte ich fast sagen „Ja dann fang bei mir an“. Es liegt einem auf der Zunge, man will es endlich sagen, um seinen Seelenfrieden zu haben. Nur weiß ich, dass das mit Konsequenzen verbunden ist, die ich derzeit nicht tragen kann.
Wie reagierst du auf Homophobie?
Wenn ich Leute erwische, die sagen „Ey, das ist doch voll schwul!“, dann spreche ich das sofort an. Wenn ich das dann mehrmals anspreche und die Person ändert sich nicht, dann stimmt etwas mit dieser Person nicht, und ich ziehe mich dann zurück.
Wie wichtig findest du den IDAHOBIT? Und was fehlt dir in der Debatte um Homophobie?
Ich kannte den damals in der Schule gar nicht. Es gab zwar Tage gegen Rassismus, aber gegen Homophobie gab es da nichts. Es fehlt die Debatte in der Schule. Meistens ist das den Schüler*innen oder Teenager*innen gar nicht bewusst, und dann kommt es zum Mobbing. Dann erst wird darauf reagiert. Ich denke man sollte sehr früh in der Schule mit dem Thema anfangen. Dann kommt es erst gar nicht so weit, dass man nachher im Arbeitsfeld gemobbt wird.
Kürzlich äußerte sich der Diyanet-Präsident klar gegen Homosexualität (sein Zitat: „Der Islam verflucht Homosexualität“). Was hältst du von seinem Statement in Anbetracht seines weitreichenden Einflusses und auch Erdogans Zustimmung zu dieser Aussage?
Wenn es im Islam so sein sollte, dass man Homosexualität verflucht, dann frage ich mich, was die damit erreichen wollen? Damit verlieren sie Menschen. Sie wollen doch Menschen in die Moscheen bringen, das ist doch Sinn und Zweck des Islams. Ich verstehe nicht, inwiefern man dann den Islam repräsentiert, wenn man mit solchen Aussagen für Diskriminierung und Hass sorgt, statt für Liebe und Frieden. Damit wird genau das Bild repräsentiert, das der Westen vom Islam hat. Wenn das dann so einen riesen Einfluss auf die Jugendlichen hier in den DITIB-Moscheen hat, sorgt es wiederum für die Kettenreaktion Mobbing-Diskriminierung-Homophobie usw.
Wie könnte jede/r ihren/seinen Beitrag leisten im Kampf gegen Homophobie?
Es fängt schon damit an darauf zu reagieren, wenn man in seinem Umfeld Homophobie bemerkt. Oder wenn sich jemand outet, daraus kein großes Thema zu machen. Oder jemanden, der Händchen hält, nicht anzustarren.
Ganz utopisch: Wie würde für dich die perfekte Gesellschaft aussehen?
Wenn es niemanden interessieren würde, was für eine Sexualität man hat. Wenn man sich nicht ständig outen müsste. Wenn ich nicht mit der Angst leben müsste, dass daraus ein Drama entsteht. Diese Angst entsteht durch diese negativen Reaktionen.
Das ist eigentlich sehr traurig.
Ja. Aufgrund dieser ganzen Erfahrungen gehe ich auch in Therapie.
Danke für deine Offenheit und für dieses aufschlussreiche Gespräch.
*Der Name wurde geändert