Von Till-Reimer Stoldt

Ali Ertan Toprak von der Kurdischen Gemeinde und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland bleibt seiner Linie treu – Quelle: pa/dpa

Quelle: welt.de

„Spießen Sie türkische Einreiseverbote auf!“

Wirkt die Politik gegenüber Erdogan zu sanft, erhebt Ali Ertan Toprak von der Kurdischen Gemeinde seine Stimme. Angela Merkel mahnt er, während ihres Türkei-Besuchs nicht in Doppelmoral zu verfallen.

Dass er ein unbequemer Parteifreund ist, hat Christdemokrat Ali Ertan Toprak schon oft bewiesen. Immer wieder mahnte er auch die Christdemokraten in Bund und Ländern, nicht blauäugig mit der türkischen Regierung und ihren verlängerten Armen in Deutschland umzugehen.

Dieser Linie bleibt der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland treu. Vor ihrem für Donnerstag geplanten Türkeibesuch warnt der in Recklinghausen aufgewachsene Toprak nun seine Parteivorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel, vor Doppelmoral und Einäugigkeit.

Die Welt: Herr Toprak, Sie bombardieren die Kanzlerin derzeit mit teils vertraulichen, teils öffentlichen Schreiben, in denen Sie ihr Tipps für ihre Türkeireise geben. Was brennt Ihnen so unter den Nägeln?

Ali Ertan Toprak: Wir als Kurdische Gemeinde zollen Frau Merkel Respekt dafür, dass sie die Einreiseverbote des US-Präsidenten Trump für Muslime und insbesondere für deutsche Muslime mit Doppelpass kritisiert. Zugleich erwarten wir von ihr aber auch, dass sie die vom türkischen Staatspräsidenten Erdogan verhängten Einreiseverbote für Tausende deutscher Staatsbürger angreift – und zwar ebenso deutlich und öffentlich. Andernfalls könnte man auf die Idee kommen, die Kanzlerin praktiziere Doppelmoral.

Die Welt: Was raten Sie der Kanzlerin?

Toprak: Frau Merkel, sprechen Sie nicht nur über Trumps jüngste Dekrete, spießen Sie auch die türkischen Einreiseverbote auf, wenn Sie mit Herrn Erdogan sprechen.

Die Welt: Wann wurden solche Einreiseverbote denn verhängt?

Toprak: Schon seit Jahren führt die türkische Polizei schwarze Listen, auf die die Grenzbeamten zugreifen, wenn sie Einreisende kontrollieren. Wer auf einer solchen Liste landet, wird an der Einreise gehindert und muss den nächsten Flieger zurücknehmen.

Die Welt: Woher wissen Sie das?

Toprak: Zum einen gibt es bereits Hunderte türkeistämmige Deutsche, denen die Einreise verweigert wurde. Oft mussten sie sich üble Beschimpfungen anhören, etwa als Vaterlandsverräter, manche wurden sogar körperlich belästigt und geschlagen. Zum anderen wurde mir auf Anfrage von absolut vertrauenswürdiger Seite bestätigt, dass diese Listen existieren.

Die Welt: Meinen Sie die Listen, die von hiesigen Ditib-Imamen über Gegner der türkischen Regierung angefertigt wurden?

Toprak: Nein, es geht um Listen, die die türkische Polizei bereits seit Jahren benutzt.

Die Welt: Um wen handelt es sich bei dieser „absolut vertrauenswürdigen“ Quelle?

Toprak: Um Insider aus dem türkischen Staatsapparat, deren Identität wir derzeit nicht lüften können, ohne sie erheblicher Gefahr für Leib und Leben auszusetzen. Aber nicht nur ich, auch einige türkeistämmige Politiker in Deutschland wissen um die Existenz dieser Quelle und dieser Listen.

Die Welt: Wer wird auf den Listen geführt?

Toprak: Keineswegs nur Anhänger des Predigers Fethullah Gülen …

Die Welt: … den Erdogan für den Putschversuch verantwortlich macht …

Toprak: … sondern nahezu jeder Türkeistämmige, der Erdogan und seine Politik hierzulande offen kritisiert. Davon abgesehen gibt es seit Beginn der Säuberungen infolge des Putschversuches noch einen zweiten Weg, Erdogan-kritische deutsche Staatsbürger an der Einreise in die Türkei zu hindern: Sie müssen mit ihrer sofortigen Verhaftung rechnen. Das läuft faktisch auf ein Einreiseverbot für viele Tausend Türkeistämmige hinaus.

Die Welt: Glauben Sie, die Kanzlerin wird dieses Problem offen ansprechen?

Toprak: Ein wenig Hoffnung habe ich. Allerdings ist mir bewusst, dass sie bereit ist, Herrn Erdogan weit entgegenzukommen, damit er in den Monaten bis zur Bundestagswahl keine Flüchtlingswelle in Richtung Europa zulässt. Die Kanzlerin nimmt ja billigend in Kauf, dass Erdogan ihren Besuch propagandistisch ausschlachten wird.

Die Welt: Ausschlachten für was?

Toprak: Ende März, Anfang April wird in der Türkei das Verfassungsreferendum stattfinden, durch das die parlamentarische Demokratie abgeschafft und Erdogan zu einem Quasi-Diktator ernannt werden soll. Wenn Frau Merkel trotzdem vorher zu dem Mann reist, der sich zum Diktator erheben möchte, wird die gleichgeschaltete türkische Presse dies als Bestätigung für Erdogans Politik verkaufen.

Die Welt: Warum machen Sie sich dann noch die Mühe, der Kanzlerin Briefe zu schreiben?

Toprak: Weil Frau Merkel sich dieses Jahr den deutschen Wählern stellen muss.

Die Welt: Aber die wollen, wie Sie sagen, vor allem keine weitere Flüchtlingswelle.

Toprak: Ja, aber die Deutschen wollen auch eine Kanzlerin, die überall – gegenüber Trump ebenso wie gegenüber Erdogan – selbstbewusst die Werte vertritt, für die Deutschland steht.