Konsulatsunterricht vor dem Aus?

Berlin  Dass die türkische Regierung Lehrer schickt, die an den Schulen im Land unterrichten, steht in der Kritik. Die kurdische Gemeinde spricht nun von grundgesetzwidrigen Inhalten. Das System könnte kippen.

Die Kritik am muttersprachlichen Unterricht für Kinder mit ausländischen Wurzeln wächst. Nachdem Landtagspräsidentin Muhterem Aras zum wiederholten Mal eine Abschaffung des sogenannten Konsulatsunterrichts gefordert hat, hat sich gestern Ministerpräsident Winfried Kretschmann (beide Grüne) eingeschaltet. „Damit müssen wir uns beschäftigen“, sagte Kretschmann in Stuttgart. Gespräche würden auf allen Ebenen geführt − sowohl mit Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) als auch mit den Konsulaten.

Es gebe bereits erste Überlegungen. Dazu gehöre auch, den bislang von den Konsulaten verantworteten Unterricht unter staatliche Schulaufsicht zu stellen. Aras hatte kritisiert, der Unterricht dürfe nicht länger den Anhängern der türkischen Regierungspartei AKP überlassen werden. Spätestens seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei würden von Ankara ausschließlich regimetreue Lehrer nach Deutschland geschickt.

CDU ist sich uneinig

Der integrationspolitische Sprecher der CDU im Landtag, Bernhard Lasotta, unterstützt die Forderung nach einer Überführung des Unterrichts in die Verantwortung der deutschen Behörden. Der Umstieg müsse nun organisiert werden. „Bei den Beratungen des Doppelhaushaltes 2018/19 müssen entsprechende Mittel bereitgestellt werden“, forderte Lasotta. Die Mittel könne das Kultusministerium schließlich nicht durch eine Umschichtung in ihrem Haushalt bereitstellen. CDU-Generalsekretär Manuel Hagel verwies auf geschätzte Kosten von 60 Millionen Euro, wenn der muttersprachliche Türkisch-Unterricht in staatliche Verantwortung übernommen werde.

Kultusministerin Eisenmann zeigte sich hingegen zurückhaltend. Angesichts des enormen zusätzlichen Mittelbedarfs sehe sie die Vorschläge skeptisch. „Aktuell streben wir keine Veränderungen am Konsulatsmodell an“, sagte sie unserer Zeitung. Die Schulaufsicht müsse aber weiterhin wachsam bleiben.

Kurdische Gemeinde: „Unterricht ist integrationshemmend“

Zuletzt war das Ministerium in Einzelfällen dem Verdacht einer politischen Indoktrinierung im türkischen Konsulatsunterricht nachgegangen. Weitere Rückmeldungen seien nicht bekannt, teilte ein Sprecher mit. Ein Gutachten des Justizministeriums über Alternativen zum Konsulatsmodell werde gerade im Haus geprüft. Aus rechtlicher Sicht gebe es demnach eine „Palette“ möglicher Angebote, wie der Zusatzunterricht neu organisiert werden könne, hieß es.

In scharfer Form kritisierte die kurdische Gemeinde in Deutschland den Konsulatsunterricht: „Der Unterricht ist integrationshemmend. Es werden Inhalte vermittelt, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind und die einer pluralistischen Gesellschaft entgegenarbeiten“, sagte Generalsekretär Cahit Basar unserer Zeitung. Es finde „keinerlei kritische Auseinandersetzung mit der türkischen Geschichte statt. Stattdessen wird nur ein plakativer Nationalismus und ein Personenkult vermittelt“.

Kommentar „Hinhaltetaktik“

Was ist das bitte für eine Logik? Da stößt die CDU im Bund eine Debatte über eine deutsche Leitkultur an und benennt in Teilen treffsicher Missstände bei der Integration. Doch wenn es darum geht, Ursachen dafür zu bekämpfen, beginnt eine merkwürdige Hinhaltetaktik.

Dass der von Ankara organisierte muttersprachliche Türkischunterricht im Land integrationshemmend ist, darüber sind sich die Beteiligten einig. Die Kritik an dem Modell, das noch aus der Gastarbeiterzeit der 70er Jahre stammt, teilt inzwischen eine Mehrheit sämtlicher Parteien von den Grünen über FDP und CDU bis hin zur AfD. Die Lehrergewerkschaft GEW fordert eine Überführung in staatliche Verantwortung, der Landeselternbeirat genauso.

Wie lässt sich im Jahr 2017 noch ernsthaft rechtfertigen, dass das Schulministerium eines inzwischen autokratischen Landes Lehrer nach Deutschland schickt, die angehalten sind, eine nationalistisch-islamische Agenda zu verfolgen? Statt inhaltlicher Gründe sprechen einzig finanzielle gegen die Abschaffung der umstrittenen Unterrichtsform. So lange Ankara seine Staatsbeamte nach Deutschland schickt und bezahlt, spart das Kultusministerium Betreuungskosten.

Das allerdings, mit Verlaub, darf keine Ausrede mehr sein, um Schüler in Deutschland Erdogan-treuen Staatsbeamten anzuvertrauen. Die Aussagen von Kultusministerin Susanne Eisenmann, man müsse beim Konsulatsunterricht „wachsam bleiben“, sind naiv. Denn so lange es keine staatliche Aufsicht gibt, ist dies gar nicht möglich. Nicht einmal das verwendete türkische Unterrichtsmaterial liegt dem Kultusministerium nach eigenen Angaben vor. Statt am Status Quo festzuhalten, muss die CDU-Ministerin jetzt den Ausstieg aus dem Konsulatsmodell organisieren und um die dafür nötigen Mittel in den Haushaltsberatungen kämpfen. Bis ein Alternativmodell steht, werden lange Jahre vergehen. Jens Dierolf

Ihre Meinung? jens.dierolf@stimme.de

Quelle: http://www.stimme.de/deutschland-welt/politik/dw/Konsulatsunterricht-vor-dem-Aus;art295,3844301