cahit-basar-kommentar

Cahit Basar
über die Flüchtlingspolitik

Deutschland hat 2015 Historisches ge- leistet und Größe gezeigt. Wir haben trotz vieler Bedenken unsere Augen vor der Flüchtlingskrise nicht verschlossen und in einem großen und gemeinsamen Kraftakt knapp eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Mit einem beispiellosen En- gagement haben Millionen Bundesbürger durch ihre ehrenamtliche Unterstützung oder Spenden dazu beigetragen, den Men- schen in Not zu helfen. Diese Aufnahme- und Hilfsbereitschaft macht mich stolz auf meine Heimat Deutschland.

Dann jedoch haben die Ereignisse in der Silvesternacht in meiner Wahlheimat Köln und anderen Großstädten das ganze Landtraumatisiert. Dreierlei wurde aber auch klar:

– Wir laufen Gefahr, die große Gruppe der Flüchtlinge diesen erbärmlichen Krea- turen der Silvesternacht gleichzusetzen. Unlängst haben aber in zahlreichen Städ- ten viele Flüchtlinge gegen ihre „Schick- salsgenossen“ protestiert.

– Es wird Zeit, dass staatliche Systeme ef- fizient arbeiten. Menschen sind selbst nach Wochen und Monaten in Deutsch- land noch immer nicht registriert oder gar mehrfach registriert. Erst eine schnelle In- tegration in den Arbeitsmarkt ermöglicht ökonomische Freiheiten, stärkt das Selbst- Bewusstsein und den Wunsch nach Partizi- pation.

– In der Silvesternacht ist der erste Arti- kel unseres Grundgesetzes massiv verletzt worden: „Die Würde des Menschen ist un- antastbar.“ Dies gilt ausnahmslos für alle Menschen. Dabei ist der Ruf nach der ganzen Härte des Gesetzes populistisch. Das Gesetz ist weder hart noch weich. Gesetze haben auch keinen empfehlenden Charak- der, sondern sind verbindlich für jede und jeden.

Vor allem die Flüchtlinge selbst wollen hier keinen Staat vorfinden, der nicht ein- deutig und transparent ist. Sie haben ihren eigenen Staat als willkürlich, barbarisch, unbarmherzig und diktatorisch erlebt. Hier bei uns finden sie einen Rechtsstaat, der da ist, wenn man ihn braucht.

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Bei aller Empörung kann uns eine versachlichte Diskussion mehr helfen, als ein hysterischer Aktionismus. Die Politik hat dabei die Chance, endlich als ehrlich wahr- genommen zu werden. Ehrlich zu einer verunsicherten Öffentlichkeit, die nicht die Verschleierung der ethnisch- kulturel- len Identität der Täter durch anonymi- sierte Polizeiberichte haben möchte. Ehr- ich zu sich selbst, dass die viel beschworenen Abschiebungen in der großen Zahl gar nicht stattfinden können, da niemand in ein Kriegsgebiet abgeschoben werden darf.

Ehrlich zu den Zugewanderten, indem ihnen die Werte und Normen dieser Gesellschaft selbstbewusst vermittelt werden und ein verbindliches Angebot zur Integra- tion gemacht wird.

Quelle: http://www.weser-kurier.de