30.10.14

Muslime, distanziert Euch endlich vom IS!

Dem Islam schaden nicht Kabarettisten wie Nuhr, sondern die Terroristen vom IS. Muslime müssen sich endlich von ihnen distanzieren, wie es die deutsche Gesellschaft von den Möllner Neonazis tat.
Von Ali Ertan Toprak

Darf man den Islam kritisieren oder über ihn Witze machen? Über diese Fragen diskutieren wir derzeit in Deutschland. Dabei kann doch wirklich nichts die Muslime mehr beleidigen und ihre Religion schänden als die Barbarei des Islamischen Staates (IS). Dennoch entrüsten sich viele von ihnen zurzeit vor allem über die Sprüche des Kabarettisten Dieter Nuhr. Und vorher waren viele Muslime empört darüber, dass man von ihnen erwartet, sich vom IS und von extremistischen Islamisten zu distanzieren.

Aber ist Empörung seitens der Muslime dieser Tage überhaupt die richtige Reaktion, wenn sie ihre Religion vor „Angriffen“ in Schutz nehmen wollen? Oder besser gefragt, sind sich die empörten Muslime wirklich im Klaren darüber, wer und welches Verhalten ihrem Glauben eigentlich am meisten schadet?

Niemand hat bezweifelt, dass sich die meisten Muslime friedlich verhalten. Und niemand, der bei Trost ist, hat die Muslime aufgefordert, sich von ihrem Glauben zu distanzieren. Können „die empörten Muslime“ denn wirklich nicht verstehen, worum es geht?

Ich entschied mich trotz Nazis, in Deutschland zu bleiben

Als Anfang der 90er in Deutschland Asylheime angegriffen wurden und in Mölln und Solingen Türken durch Neonazis ermordet worden sind, waren wir Migranten froh darüber, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft sich von den abscheulichen Taten distanzierte. Es hat uns Migranten gutgetan, als Hunderttausende von Deutschen gegen die rechtsextremen Brandstifter auf die Straße gegangen sind und riefen: „Liebe Ausländer, bitte lasst uns nicht mit diesen Deutschen allein.“

Ich hatte damals zum ersten Mal in meinem Leben daran gezweifelt, ob ich zu Deutschland gehöre. Ich hatte zum ersten Mal darüber nachgedacht, Deutschland zu verlassen. Aber als ich überall in Deutschland die Lichterketten gegen die Nazis sah und auf den Straßen Autos mit entsprechenden Aufklebern, da entschied ich mich hierzubleiben.

Da wusste ich, dass Deutschland gerade in der schwersten Zeit zu meiner Heimat geworden ist. Millionen von Deutschen haben sich von den Rassisten distanziert. Nicht weil dieser Rassismus Teil der deutschen Identität war, sondern weil kranke Idioten meinten, im Namen „der Deutschen“ Ausländer anzünden zu müssen.

Erwarten wir einen Aufschrei gegen den NSU-Skandal, weil wir alle Deutschen als Rassisten ansehen oder weil wir uns nur der Solidarität vergewissern wollen?

Meine Freunde, Nachbarn und Studienkollegen hatten mit diesen Mördern nichts gemein. Es hat mir dennoch sehr gefallen und geholfen, als sie von sich aus zu mir kamen und mir sagten, dass sie sich schämten und etwas dagegen unternehmen wollten. Was ist daran falsch gewesen, dass sich damals fast ganz Deutschland von diesen Nazis distanziert hat? Und erwarten wir Migranten in Deutschland nicht jedes Mal einen Aufschrei, wenn wir hierzulande wie dieser Tage in Köln wieder mit Rechtsradikalen konfrontiert werden?

Ali-Ertan-Toprak1

Ali Ertan Toprak ist Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland. Von 2006 bis 2012 war er als Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Teilnehmer der Deutschen Islamkonferenz

Nichts ist daran falsch. Es ist gut, wenn sich in solchen Krisensituationen unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen gegenseitig vergewissern, wo sie stehen und vor allem für welche Werte sie stehen. Sich vom Bösen zu distanzieren, das in ihrem Namen wütet, würde die Muslime nicht entwerten, sondern nur aufwerten.

Es würde uns nicht spalten, sondern Migranten und Deutsche einen. Es würde die freiheitlich-demokratische Gesellschaft nur stärken und zu einer wehrhaften Gemeinschaft gegen die Intoleranz machen. Nicht Nuhr, sondern NUR das Wegducken vor den vom „Islamischen Staat“ begangenen Verbrechen schadet und beleidigt den Islam und die Muslime.