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Von Hasnain Kazim

Tausende Frauen wurden von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ versklavt, vergewaltigt, ermordet. In Sindschar haben sich Jesidinnen zusammengetan, um die Extremisten zu bekämpfen.

Von einer Frau getötet zu werden, ist schlimmer als von einem Mann. So sehen das Kämpfer der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Von einer Frau erschossen zu werden, gilt als unehrenhaft, als Schande. Manche glauben auch, nach einem solch schmachvollen Tod fahre man direkt zur Hölle.

Khatun Ali Khidar bereitet diese Sichtweise Genugtuung. „Ich hoffe, diese Typen werden niemals das Paradies erblicken!“, sagt sie. Khidar ist Soldatin der Peschmerga, der Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Dienstgrad: Hauptmann. Drei goldgelbe Sterne prangen auf der Schulterklappe ihrer Flecktarnuniform. Sie ist Kurdin und Jesidin, Angehörige einer religiösen Minderheit, die der IS für „Teufelsanbeter“ hält und deshalb ermordet. Khidar kämpft gegen den IS, ihre Waffe ist ein Sturmgewehr AK-47. Ihre Kalaschnikows tragen sie und ihre Kameradinnen meist bei sich. In der Kantine, während die Frauen essen, lehnen Dutzende Gewehre an der Wand.

Vor mehr als einem Jahr, im Januar 2015, haben sich mehrere Jesidinnen aus der Stadt Sindschar und Umgebung zusammengeschlossen, um gegen die Extremisten des IS in den Krieg zu ziehen – wenige Monate nachdem der IS im August 2014 in ihrer Stadt eingefallen war und Tausende Menschen ermordet, verschleppt, in die Flucht geschlagen hatte. Noch immer werden in dieser Region Massengräber gefunden.

Frauenbataillon in Singschar / Front nahe Singschar / Soldatinnen und Soldaten - Foto: Hasnain Kazim

Frauenbataillon in Singschar / Front nahe Singschar / Soldatinnen und Soldaten – Foto: Hasnain Kazim

Innerhalb weniger Wochen brachten erfahrenere Kämpfer der Peschmerga den Frauen militärische Grundkenntnisse bei. Sie lernten zu schießen und zu überleben. Seither tragen sie Uniform und sandfarbene Stiefel und binden sich rot-weiß-karierte Tücher um den Hals. Khidar, eine Parteimitarbeiterin, hatte schon zuvor hier und da bei den Peschmerga mitgekämpft, damals noch in zivil, und hatte erste Kriegserfahrungen gesammelt. Später stieg sie rasch im Rang auf und bekam das Kommando über unerfahrenere Frauen.

Das Peschmerga-Bataillon der „Sun Girls“, der Sonnenmädchen – die Sonne ist das Symbol der Autonomen Region Kurdistan, die sie in ihrer Flagge trägt – zählt inzwischen mehr als 500 Soldatinnen. „Und es gibt viele Anfragen von jungen Frauen, die sich rekrutieren lassen wollen“, sagt Khidar. „Derzeit warten 123 Frauen auf Aufnahme.“ Manche kommen aus entfernteren Regionen, auch aus Nordsyrien. Sie haben von den Gräueltaten des IS an den Jesiden gehört und wollen nun helfen, den Feind zu schlagen. „Wir beten die Sonne an!“, sagt Khidar. „Daesh“, wie sie den IS nennt, „sollte das wissen!“ Soll heißen: Wir bekämpfen die Dunkelheit.

Es ist eine bemerkenswerte Einheit, denn bislang kämpften in den Reihen der Peschmerga ausschließlich Männer. „Wir Frauen wollen auch dazu beitragen, unsere Ehre, unsere Würde und unsere Freiheit zu verteidigen“, sagt Khidar. „Wir sind Töchter Kurdistans.“ Manche dieser Frauen waren in IS-Gefangenschaft, wurden als Sexsklavinnen gehalten, von IS-Kämpfer zu IS-Kämpfer gereicht und vergewaltigt. Aber auch diejenigen, die nicht in den Fängen der Extremisten waren, erlebten Grausames. „Es gibt niemanden unter uns, der nicht jemanden in der Familie hat, der entführt oder getötet wurde“, sagt eine junge Soldatin. „Alte, Junge, Frauen, Männer, Kinder, sie alle wurden ermordet.“

Frauenbataillon in Singschar / Front nahe Singschar / Soldatinnen und Soldaten - Foto: Hasmian Kazim

Frauenbataillon in Singschar / Front nahe Singschar / Soldatinnen und Soldaten – Foto: Hasmian Kazim

Sinnen diese Frauen auf Rache? Khidar denkt nach. Dann sagt sie mit leiser Stimme: „Wenn eine Mutter erlebt, dass ihr Kind vor ihren eigenen Augen geköpft wird, und sie dann gezwungen wird, das Fleisch ihres Kindes zu essen, wie soll man dann reagieren?“ Schilderungen wie diese gibt es viele, sie lassen sich kaum auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Belegt ist aber, dass die IS-Kämpfer mit äußerster Grausamkeit vorgingen, als sie Sindschar eroberten.

Über Sindschar fegt ein Sturm hinweg. Von den umliegenden Bergen aus kann man die Stadt kaum mehr sehen, Sand umhüllt die Häuserruinen. Der Ort, den die Kurden Shingal nennen, ist ein einziges Trümmerfeld. Zerstört im Kampf der Peschmerga und der PKK, die sich trotz gegenseitiger Abneigung zusammenschlossen, um die Extremisten zu bekämpfen, gegen den IS, vor allem aber durch das Luftbombardement der internationalen Anti-IS-Koalition.

Bei diesem Wetter greife der IS besonders gerne an, sagt ein Soldat. Fünf Dörfer in der Umgebung von Sindschar sind noch in der Hand des IS. Ein paar Kilometer außerhalb der Stadt verläuft die Front. Mit bloßem Auge kann man von hier IS-Stellungen erkennen. Auf einem Haus in ein paar hundert Metern Entfernung ist eine Kamera montiert, mit der die Extremisten die Peschmerga beobachten.

Die Peschmerga bewegen sich hinter mannshoch aufgetürmten Sandsäcken. Da, wo ein Loch in der Wand ist, sind Maschinengewehre und „Milan“-Raketen aufgebaut, von Deutschland geliefert. Von den Peschmerga-Stellungen aus sieht man auch einen drei Meter tiefen und ebenso breiten Graben, der verhindern soll, dass die Extremisten mit erbeuteten Humvee-Fahrzeugen und Panzern vorrücken.
Soldatinnen findet man hier nicht. „Wir Frauen beteiligen uns aber auch an Kämpfen“, sagt Offizierin Khidar in einer Kaserne in Sindschar. Sie seien gleichberechtigt und würden von ihren männlichen Kameraden mit Respekt behandelt, erzählen die Soldatinnen. „Nur rauchen wir weniger.“

Gerade hat die irakische Armee eine Offensive auf die Stadt Mossul begonnen, die seit Sommer 2014 vom IS besetzt ist. Die Peschmerga wurden von der Regierung in der irakischen Hauptstadt Bagdad darüber nicht informiert. Der Irak besteht ohnehin nur noch auf dem Papier, in der Realität ist er zerfallen in einen kurdischen, einen schiitischen und einen sunnitischen Teil. Man redet kaum noch miteinander, bekriegt sich eher.

Die Menschen in Kurdistan fürchten sich vor einer Befreiung Mossuls vom IS. „Denn das, was danach kommt, dürfte noch schlimmer sein als der IS“, sagt ein Peschmerga-General. „Wer hat dann das Sagen in dieser großen multiethnischen und multireligiösen Stadt? Jeder beansprucht die Macht für sich. Sollte Haschd al-Schaabi, die Kontrolle übernehmen, dann gnade uns Gott!“ Haschd al-Schaabi sind schiitische Milizen, die „Volksmobilisierungseinheiten“. Diese Truppen rief die schiitisch geprägte irakische Regierung als Instrument im Kampf gegen den IS ins Leben. An Grausamkeit und Brutalität stehen sie dem IS in nichts nach.

Was die Menschen von Sindschar erlebt haben seit der Eroberung durch den IS, hat sie traumatisiert. Die Jesidinnen wollen kämpfen, „solange auch nur ein Quadratmeter unseres Gebiets von Feinden besetzt ist“, sagt Khidar. Mit der Waffe in der Hand fühlen die Frauen, die geschändet, unterdrückt, missbraucht wurden, sich schon jetzt nicht mehr als Opfer.

Quelle:

http://www.gmx.net/magazine/politik/kampf-sun-girls-31455354

 http://www.spiegel.de/politik/ausland/islamischer-staat-jesidinnen-in-sindschar-kaempfen-gegen-den-is-a-1084396.html