Auf Grund von Presseanfragen und Mails bezüglich des Hohen Jesidischen Geistlichen Rates, die Kinder aus der Vergewaltigung durch die IS nicht in die Gemeinschaft aufzunehmen, möchte ich wie folgt Stellung nehmen:

Als im August 2014 Truppen des selbsternannten „Islamischen Staates“ Gebiete im Nordirak eroberten, wandten sie sich mit ungeheurer Brutalität gegen die alteingesessenen, religiösen Minderheiten im Land, insbesondere gegen die Jesiden. Männer wurden in großer Zahl exekutiert, abertausende Frauen und Kinder verschleppt und gezielt auch sexueller Gewalt ausgesetzt. Die Jesiden sollten ausgelöscht und ihren Willen gebrochen werden. Tausende wurden zwangskonvertiert. Systematisch wurden junge Mädchen und Frauen von den Terroristen vergewaltigt und verkauft. Die jesidische Gemeinschaft sollte gedemütigt und die jungen Mädchen und Frauen durch den Akt der Vergewaltigung zwansgskonvertiert werden.

Jesidische Frauen, die aus der IS Haft befreit oder fliehen konnten, haben durch die Vergewaltigung Kinder bekommen und werden nun von deren jesidischen Familien dazu gedrängt ihre Kinder zur Adoption frei zugeben und allein zu ihren Familien in den Irak zurückzukehren. Die irakische Regierung selbst will die Kinder als Muslime registrieren, da nach muslimischen Recht die Vergewaltiger Muslime sind und somit die Kinder automatisch Muslime sein. Somit werden die Frauen von beiden Seiten unter Druck gesetzt und im Stich gelassen.

Am 24. April 2019 veröffentlichte der Hohe Jesidische Geistliche Rat, dass u.a. den Frauen und Kinder nach der Befreiung aus der IS Haft geholfen werden muss. Sie schrieben ihn ihrer Erklärung u.a., „wir erklären ausdrücklich, dass wir alle Befreiten mit Stolz, Würde, Menschlichkeit und Transparent behandeln werden.“ Daher bestand bis vor wenigen Tagen die Hoffnung, dass die schwer traumatisierten Frauen und ihre Kinder in ihrer Heimat ein Platz in Hoffnung und Würde finden könnten.

Nur drei Tage später, am 27. April 2019, verkündete der Hohe Jesidische Geistliche Rat, auf Druck einiger jesidischen Stämmen und traditionellen jesidischen Gruppen, dass sie nicht bereit seien die Kinder aus der Vergewaltigung durch die IS Terroristen zu akzeptieren.

Die Jesiden sind eine endogame religiöse Gruppe und man kann nur durch Geburt Jeside werden. Eine sexuelle Verbindung zu einem Nicht-Jesiden führte bis 2014 ebenfalls zum Ausschluss aus dieser Gemeinschaft. Nur durch den Mut und kluge Entscheidung des Hohen Priester Baba Sheikh, wurde die Regel für alle jesidischen Frauen, die in IS Haft waren, 2015 aufgehoben, darunter auch die heutige Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad.

Der Hohe Rat beruft sich heute noch auf diesen Beschluss von 2015, was defacto bedeutete, dass die jesidischen Frauen weiterhin akzeptiert, deren Kinder aber nicht. Die Kinder werden somit ausgestoßen und werden Opfer, wie die Jesiden selbst seit 2014 durch den IS Terror.

Viele der Frauen haben auf Druck ihrer Familien ihren Kindern zurückzulassen und leiden unter schweren psychischen Störungen, da sie ihre Kinder vermissen. Auch die jesidische Religion ist verpflichtet sich an den universalen Menschenreche zu halten. Gerade die Jesiden, die seit Jahrhunderten verfolgt und Opfer von zahlreichen Genoziden wurden, müssen wissen was diese Ablehnung der Frauen und Kinder bedeutet. Es muss die Pflicht der Jesiden sein, sich an ihre humane Pflicht und Friedenswillen zu erinnern und den Kindern zu schützen und zu helfen. Ansonsten hätte des IS Terror tatsächlich noch gewonnen, da die Menschlichkeit nichts mehr zählt.

Es geht auch nicht darum, die Kinder als Jesiden zu akzeptieren, sondern ihnen und deren Mütter zu unterstützen und die Möglichkeit zu geben zu Familien zurückzukehren. Die Mütter und ihre Kinder sollen und müssen selbst entscheiden, welche Überzeugung die Kinder später annehmen. Es geht lediglich darum ihnen die Möglichkeit zu geben, wenn sie es wollen, in der jesidischen Gemeinschaft mit ihren Familien zu leben.

Die Jesiden müssen, ganzgleich was der Hohe Rat beschließt, alles unternehmen, um den Frauen und ihren Kindern zu helfen.

Die irakische und kurdische Regierung in Bagdad und Erbil müssen juristisch den Frauen die Möglichkeit geben ihre Kinder so zu registrieren wie sie es wollen und ihnen mit allen Mitteln finanziell und psychosozial unterstützen und ihnen Schutz gewähren.

Auch die internationale Gemeinschaft ist aufgefordert die Stellungnahme nicht als eine interne Angelegenheit zu akzeptieren, da es um Schutz und Hilfe von Frauen geht, die am meisten Hilfe benötigen und allein nicht in der Lage sind sich und ihren Kindern zu schützen.

29.04.2019
Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan