Dersim – eine offene Wunde im kollektiven Gedächtnis des kurdischen Volkes

Es ist eine der wenigen Genozide der Welt, die nicht aufgearbeitet wurde, aber einer der vielen in der Geschichte des kurdischen Volkes.

Dersim, die kleine und beschauliche kurdische Provinz im Osten der Türkei, sticht in der langen Geschichte der Verfolgung, Unterdrückung, Vertreibung und Vernichtung des kurdischen Volkes besonders hervor.

Die mehrheitlich kurdisch-alevitische Bevölkerung ist dem jungen türkischen Staat und dem bis heute einem heiligengleich verehrten Staatsgründer Atatürk ein Dorn im Auge. Den als säkularen Politiker in die Geschichtsbücher festgeschriebenen Atatürk stören die kurdische und die alevitische Identität. Beide Identitäten stehen der Idee einer einheitlichen, staatlich vorgegebenen sunnitischen Religionslehre und dem ebenso staatlich verordneten Türkentum im Wege. Die Absurdität dieser Staatspolitik wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Türkei ebenso wie das Osmanische Reich zuvor zu diesem Zeitpunkt ein Vielvölkerstaat mit einer großen religiösen und ethnischen Diversität ist.

Anstatt dies anzuerkennen, wird die Vielfalt bis zum heutigen Tag bekämpft.
Der Vernichtungsfeldzug gegen die kurdisch-alevitische Bevölkerung Dersims wird von langer Hand vom Staatsgründer selbst geplant und militärisch organisiert. Ein bis dahin beispielloser anti-kurdischer Rassismus wird in den staatlichen Medien verbreitet und eine Pogromstimmung geschaffen. 1937/38 als die Welt auf Europa und Nazi-Deutschland schaut und das öffentliche Interesse damit völlig abgelenkt ist, beginnt Atatürk im Schatten der europäischen Ereignisse seinen Feldzug gegen Dersim. Zehntausende schutzlose Zivilisten kommen ums Leben und wieder Zehntausende werden in andere Landesteile deportiert. Ganze Dörfer werden samt ihrer Bewohner niedergebrannt, die Menschen niedergemetzelt und der Widerstand der sich gegen die Vernichtung erhebt als Aufstand der Kurden gegen die junge türkische Republik gedeutet, um im Nachhinein den Genozid zu rechtfertigen.

Bis heute wurde dieser Genozid nicht aufgearbeitet und hat sich als Trauma in das kollektive Gedächtnis des kurdischen Volkes eingebrannt. Umso wichtiger ist es, dass alles dafür unternommen wird, das Geschehene aufzuarbeiten. Vom 18. bis 20.11. findet an der Universität Duisburg-Essen die internationale Konferenz „Der nicht anerkannte Genozid“ statt, die unter anderem mit hochrangigen Historikern, Politikwissenschaftlern und Traumatologen den Versuch unternimmt Wege für eine internationale Anerkennung des Geschehenen als Genozid an einer unschuldigen und wehrlosen Zivilbevölkerung auszuloten. Link zum „DER NICHT ANERKANNTE GENOZID: DERSIM 1937–1938, Internationale Konferenz, 18.–20. November 2021“

Der Verein Kongress Dersim Aufbau wird am 21.11. in Oberursel auf einem eintägigen Kongress neben den aktuellen Themen, die die Zerstörung der Wälder in Dersim durch die türkische Armee und Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen der Bevölkerung beinhaltet, auch die Frage diskutieren, wie der Verein zukünftig noch stärker die Öffentlichkeit für die besorgniserregenden Entwicklungen in Dersim sensibilisieren kann.

Die Kurdische Gemeinde Deutschland unterstützt ausdrücklich jede Initiative, die sich mit der leidvollen Geschichte des kurdischen Volkes beschäftigt, diese aufarbeitet und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht.

Nicht nur die Anerkennung der Genozide am kurdischen Volk sind dabei von großer Bedeutung, sondern auch die Mitverantwortung Deutschlands durch Stillschweigen aus geo-strategischen Interessen wie z.B. bei der türkischen Invasion in Rojava (Nord-Syrien) 2018, aktive Mitwirkung deutscher Unternehmen an dem Giftgasangriff in Halabja in Süd- Kurdistan (Nord-Irak) 1988 oder Duldung der Unterstützung des „Islamistischen Staates“ durch die Türkei, die 2014 zum Genozid an der religiösen Minderheit der Jesiden führte.