Die nicht endende Katastrophe der Eziden seit dem Genozid 2014

Mona Kizilhan

Am 3. August jährt sich der Beginn des Völkermords an den Eziden durch den sogenannten „Islamischen Staat“ zum achten Mal. Dieser Genozid war nicht der Erste in ihrer Geschichte. Sie waren im Laufe ihrer Historie immer wieder Ausgrenzung, Unterdrückung und Völkermorden ausgesetzt.  

Der letzte Genozid an den Eziden 2014 durch den IS hat die ezidische Gemeinschaft tiefgreifend traumatisiert und sollte es so bleiben, ist es nicht sicher, ob diese Gemeinschaft nach diesem Bruch langfristig überleben wird. Daher kämpfen die Eziden nach dem Genozid in den Flüchtlingscamps in Kurdistan und in Shingal seit acht Jahren darum, mit ihren kollektiven und individuellen Traumata zu überleben. Immer noch leben in 15 Flüchtlingscamps über 300.000 Eziden. Kinder sind dort geboren und sprechen nicht mehr den Dialekt ihrer Eltern, ihre Lebenswirklichkeit sind Zelte, Container, Hitze im Sommer und Kälte im Winter geworden.  

Die schwer traumatisierten Menschen haben kaum die Möglichkeit, eine nennenswerte Behandlung zu erfahren. Vor allem viele traumatisierte Frauen haben Schlafstörungen, erleben häufig Ohnmachtsanfälle oder Flashbacks, bei der sie die Vergewaltigung und Folter nacherleben. Sie haben keine Hoffnung und einige überlegen, sich das Leben zu nehmen. Die Menschen brauchen daher dringend medizinische und psychologische Hilfe, die in Kurdistan nicht ausreichend vorhanden ist. 

Die gesamte Gesundheitsversorgung mit ihrer Infrastruktur im Irak und Kurdistan ist nicht ausreichend, es gibt kaum Personal, Kliniken und Gesundheitsstandard, um effektiv die Menschen zu behandeln. 

Neben der Behandlung brauchen die Menschen eine Zukunftsperspektive, in der sie frei ihre Identität und Religion ausüben können. Dazu gehört auch die politische Anerkennung der Eziden mit allen Rechten und Pflichten, welche in der Verfassung des Irak verankert wird, und das Recht, in Shingal über ihre Zukunft selbst zu entscheiden. Dadurch würde auch eine Flucht der Eziden aus Kurdistan nicht mehr notwendig sein.  

Es ist umso wichtiger, den Menschen vor Ort zu helfen und ihnen eine Perspektive zu geben. Aber ihre dramatische Lage ändert sich nicht, auch wenn jedes Jahr die Eziden auf der ganzen Welt nach Unterstützung rufen. Die Lebensbedingungen sind unerträglich und die Flüchtlingscamps können niemals ein gesunder Wohnort für die Menschen werden. Sie wollen in ihren Dörfern leben, auf ihren Feldern arbeiten und in ihrer Gemeinschaft in ihrer Heimat ihren Frieden finden. Ein Neubeginn ist nur in Shingal und nicht in den Camps, auf der Flucht oder in der Diaspora möglich.  

Auf Grund der aktuellen politisch fragilen Situation im Irak, der unterschiedlichen Organisationen in Shingal, die sich gegenseitig bekämpfen, scheint aber die Realität so zu sein, dass die Eziden so bald nicht nach Shingal zurückkehren können. 

Gleichzeitig ist die Situation der Eziden schon lange keine interne Angelegenheit des Iraks. Die internationale Gemeinschaft muss handeln, wenn sie den stillen und beginnenden Genozid aufhalten möchte. 

Es ist wichtig, die Trauer der Eziden zu teilen und jedes Jahr im August an den Völkermord zu erinnern, aber die Menschen, die seit acht Jahren in den Lagern ums Überleben kämpfen, brauchen vor allem Initiativen, um ihre Situation zu verbessern. 

Meine Gedanken sind bei den Überlebenden des Genozids.
Wir trauern um die Toten, ehren die Überlebenden und wir dürfen nicht vergessen!


Mona Kizilhan ist Menschenrechtsaktivistin und Verwaltungsleiterin der Abteilung Transkulturelle Psychosomatik der MEDICLIN Klinik in Donaueschingen, die unter anderem in der Traumabewältigung mit Opfern des Genozids an den Eziden arbeitet. Seit Juni 2022 ist Mona Kizilhan Teil des Vorstandes der Kurdischen Gemeinde Deutschland.