Erdogan kommt als Bittsteller nach Berlin

„Letztes Jahr beschimpfte Erdogan die Deutschen noch als Nazis, jetzt hat er die Wirtschaft in seinem Land an die Wand gefahren und braucht Hilfe, sagt der Vorsitzende der kurdischen Gemeinde, Ali Ertan Toprak, im SWR. Diese dürfe man ihm nicht geben.“

Quelle: Quelle: https://www.swr.de/swraktuell/snacks/Krtitik-von-der-kurdischen-Gemeinde-Erdogan-kommt-als-Bittsteller-nach-Berlin,av-o1057757-100.html


„Sofort alle Deutschen aus türkischen Gefängnissen freilassen“

Quelle: https://www.welt.de/politik/ausland/article181659464/Erdogan-Besuch-Sofort-alle-Deutschen-aus-tuerkischen-Gefaengnissen-freilassen.html

 

Ali Ertan Toprak, Chef der Kurdischen Gemeinde Deutschland, übt massive Kritik am Staatsbesuch des türkischen Präsidenten. Die Bundesregierung müsse Bedingungen stellen, bevor von Wirtschaftshilfen für die Türkei die Rede sein könne.

Von Carolina Drüten

WELT: Herr Toprak, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kommt nach Deutschland, um die bilateralen Beziehungen zu verbessern. Ist das die Art von Neuanfang, die Deutschland und die Türkei brauchen?

Ali Ertan Toprak: Nein, ganz sicher nicht. Erdogan hat die Türkei wirtschaftlich gegen die Wand gefahren, deshalb sucht er den Neuanfang mit Deutschland. Es ist nicht einmal ein Jahr her, dass Erdogan die Deutschen als Nazis bezeichnet hat. Dieser plötzliche Sinneswandel in so kurzer Zeit kommt nicht von ungefähr – aber er ist typisch für Erdogans Politik. Wenn er sich mit Staaten überwirft, versucht er bei den anderen Staaten, gute Stimmung zu machen, damit er sich nicht völlig isoliert.

WELT: Die Kurdische Gemeinde wollte gegen den Besuch Erdogans auf die Straße gehen. Aber Ihre Demonstration am Brandenburger Tor wurde nicht genehmigt – weil dort Vorbereitungen für den Tag der deutschen Einheit laufen.

Toprak: Das ist die offizielle Begründung. Aber für die Zeit von Erdogans Besuch werden Regierungsviertel und Teile der Innenstadt großflächig zum Sperrgebiet. Man will anscheinend, dass Erdogan die Proteste gegen ihn nicht hört und nicht sieht. Dabei haben die Bürger in diesem Land ein Recht darauf, dass ihr demokratischer Protest sichtbar und hörbar ist. Ich hätte mir gewünscht, dass die deutschen Behörden das zugelassen hätten.

WELT: Was planen Sie stattdessen?

Toprak: Wir werden jetzt die Kundgebung der Alevitischen Gemeinde unterstützen. Am Bebelplatz werden wir nicht nur gegen den Staatsbesuch demonstrieren, sondern auch die Türkeipolitik der Bundesregierung kritisieren.

WELT: Wie sollte die Bundesregierung denn mit der Türkei umgehen?

Toprak: Wir hören immer nur von Deals, von strategischen Beziehungen, von wirtschaftlicher Unterstützung. Das ist zu wenig. Damit verraten wir unsere eigenen Prinzipien und Werte. Die Bundesregierung muss darauf beharren, dass die Türkei den Weg zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückfindet.

Dass sie die Menschenrechte und die Pressefreiheit achtet. Wir müssen Bedingungen aufstellen. Erst wenn diese Bedingungen – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte – gegeben sind, können wir über wirtschaftliche Unterstützung reden. Vorher nicht.

WELT: Dazu muss man aber mit der Türkei reden.

Toprak: Natürlich muss man mit der Türkei reden. Auf diplomatischem Parkett muss man auch mit unbequemen Unrechtsregimen reden. Wir kritisieren vor allem die Art und Weise dieses Besuchs. Er wird mit allen militärischen Ehren empfangen und einen Kranz am Mahnmal der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft niederlegen. Und als Zugabe ein Staatsbankett, während weiterhin deutsche Staatsbürger festgenommen werden. Welch ein Hohn. Das ist unser Punkt.

WELT: Das geplante Staatsbankett ist also für Gespräche nicht der richtige Ort?

Toprak: Nein. Man hätte es bei einem Arbeitsbesuch belassen können. Niemand ist verpflichtet, ein Staatsbankett auszurichten – erst recht nicht für ein Unrechtsregime. Warum soll einem Despoten der rote Teppich ausgerollt werden? Das ist inakzeptabel.

WELT: Deutschland und die EU sind in gewisser Weise von der Türkei abhängig – denken wir zum Beispiel an den Flüchtlingsdeal.

Toprak: Der Flüchtlingsdeal war immer das Argument dafür, man müsse im Gespräch bleiben. Aber jetzt wird sehr deutlich, dass die Türkei uns mehr braucht als wir die Türkei. Das Land ist quasi bankrott und braucht dringend Unterstützung, nachdem Erdogan sich außenpolitisch isoliert hat und auch mit den USA im Clinch liegt. Gerade jetzt muss die Bundesregierung unter Merkel Druck auf Erdogan ausüben.

WELT: Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere prominente Politiker haben ihre Teilnahme am Staatsbankett abgesagt. Was halten Sie davon?

Toprak: Wenn die Kanzlerin etwas richtig macht, sollte man es auch anerkennen. Also: Chapeau für diese Entscheidung. Ich finde gut, dass deutsche Politiker Farbe bekennen und deutlich machen, dass sie nicht auf der Seite dieses Regimes sind, sondern auf der Seite der Demokraten, der Minderheiten, der Oppositionellen, der Frauen, der Presse; dass sie Menschenrechtler sind.

WELT: Der Grünen-Politiker Cem Özdemir hingegen wird am Bankett teilnehmen. Er sagte, Erdogan müsse ihn aushalten.

Toprak: Cem Özdemir gehört zu den größten Kritikern der deutschen Türkeipolitik. Erdogan hat gerade ihn in den letzten Jahren zum Verräter erklärt und ihm absurde, menschenfeindliche Vorwürfe gemacht. Und Cem Özdemir möchte ihn konfrontieren. Das ist auch eine Form des Protests. Ich bin sehr gespannt, wie das ausgeht.

WELT: Erdogan und Merkel werden unabhängig vom Staatsbankett trotz aller Kritik am Wochenende aufeinandertreffen. Was sollte die Kanzlerin dem türkischen Präsidenten sagen?

Toprak: Sie sollte sagen, dass wir eine Türkei, die den Weg der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verlassen hat, nicht unterstützen können. Und sie muss klipp und klar sagen, dass Erdogan sofort alle deutschen Staatsbürger aus türkischen Gefängnissen freilassen muss. Er muss auch damit aufhören, Kritiker der türkischen Regierung hier in Deutschland bespitzeln zu lassen.

Etliche Türkeistämmige können momentan nicht in die Türkei einreisen, weil sie sofort festgenommen werden würden. Ich zum Beispiel kann seit 2015 nicht mehr in die Türkei reisen. Da erwarte ich von meiner Kanzlerin, dass sie endlich ein Machtwort in Richtung Erdogan ausspricht. Wir haben ihm Tee eingeschenkt, und es wird Zeit, dass wir ihm reinen Wein einschenken.