Internationaler Tag der Muttersprache; „Trotzdem, Ez kurdim!“

Einige persönliche Gedanken unserer stellvertretenden Generalsekretärin Baris Duran Yildirim anlässlich des ‘Internationalen Tages der Muttersprache‘

Frühkindliche Erinnerungen prägen uns für ein ganzes Leben und die Muttersprache ist ein großer Bestandteil dieser. Als Muttersprache bezeichnet man die in der frühen Kindheit ohne formalen Unterricht erlernte Sprache.

Aber was ist, wenn man diese Sprache nicht mehr spricht? Oder sie nie wirklich erlernt hat?
Am ‘Internationalen Tag der Muttersprache‘ möchte ich an all jene erinnern, die ihre eigentliche Muttersprache aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr sprechen.

„Die meisten der etwa 40 Millionen Kurden, aufgeteilt auf die vier Staaten, die Kurdistan besetzt halten, Türkei, Iran, Irak und Syrien, im europäischen Exil oder in einigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion lebend, haben nicht die Möglichkeit, in ihrer Muttersprache Lesen und Schreiben zu lernen. Es gibt keinen kurdischen Schulunterricht in der Türkei, Syrien oder im Iran – im Irak nur in den befreiten Gebieten von Südkurdistan.“(1) So ernüchternd äußert sich der kurdische PEN- Club, ein Zusammenschluss kurdischer Schriftsteller und Literaten.

Es liegt nahe, dass dies mein Grund ist, warum ich die kurdische Sprache -meine Muttersprache- nie erlernt habe. Denn meine Eltern gehören einer Generation an, die mit dem Verbot der kurdischen Sprache heranwuchs und zu Objekten einer Assimilierungspolitik wurde. Die Auflösung der kurdischen Kultur, Sprache und Identität mit der geballten Macht eines Staates, der noch heute, die Lösung: Eine Heimat, eine Sprache, eine Fahne, ein Volk sich zu legitimieren versucht und wohl in wenigen Monaten noch um einen Führer erweitert werden wird.

Ein Teil unserer Identität ist die Sprache und als Deutsch-Kurdin fehlt mir dieser Teil. Versuche die Sprache im Nachhinein zu erlernen scheitern, weil es doch wie eine Fremdsprache bleibt. Es gibt Studien, die behaupten, dass die Sprache, die man frühkindlich erlernt, aber vergessen hat, nie ganz verloren geht.(2) Aus meiner Sicht leider nur ein schwacher Trost, denn ich hatte noch nicht einmal in meiner frühen Kindheit die Chance, meine Muttersprache zu erlernen. Die Muttersprache ist nicht nur eine Ansammlung von Wörtern, die Muttersprache ist ein Instrument, mit der man dem innigsten Leid und der innigsten Freude einen Klang geben kann. Ein Ausdruck verschaffen kann, der mit einer zweiten Sprache nur sehr selten glückt. Und dennoch, die Sprache hat man mir nehmen können, doch nicht die stolze Identität zu einem Volk zu gehören, das niemals das kurdische Ich aufgegeben hat; auch nicht unter barbarischsten Bedingungen.

Das kurdische Ich muss es wohl auch sein, warum ein kurdisches Lied, meine Seele berühren kann, obwohl ich es nicht verstehe. Meinem kurdischen Ich verdanke ich die große Freude, die ich verspüre, wenn ich fragmentarisch Gespräche in meiner Muttersprache decodiere.

Ez bi kurdî kêm dizanim – Ich spreche kaum Kurdisch, ist der gängigste kurdische Satz, den ich nutze. Trotzdem, Ez kurdim – ich bin Kurdin. Hierbei empfinde ich es als pures Glück, dass die deutsche Sprache zu meiner neuen Muttersprache geworden ist und nicht die Sprache des Landes, welches alles dran gesetzt hat und noch immer alles dafür tut, das kurdische Ich physisch und psychisch zu zerstören.


(1) http://www.pen-kurd.org/almani/zerdesht/die-kurdische-sprache-und-ihre-dialekte.html
http://www.pen-kurd.org/almani/zerdesht/die-kurdische-sprache-und-ihre-dialekte.html
(2) https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article134491229/Das-Gehirn-erinnert-auch-verlernte-Muttersprachen.html