Polizisten kesseln in Stuttgart eine türkische Demonstrationsgruppe ein. Bei der Kundgebung kam es dann zu Auseinandersetzungen. Foto: dpa

Polizisten kesseln in Stuttgart eine türkische Demonstrationsgruppe ein. Bei der Kundgebung kam es dann zu Auseinandersetzungen. Foto: dpa

 

Verfassungsschutz warnt vor Folgen der Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kurden

Zwischen türkischen Nationalisten und kurdischen Extremisten kommt es im Südwesten zu Gewalt. Behörden rechnen nach einer Demonstration mit Verletzten und Brandanschlägen mit weiteren Problemen.

15.04.2016 – VON CIHAN ACAR, DPA
QUELLE: http://www.tagblatt.de/Nachrichten/Tuerkischer-Konflikt-flammt-im-Suedwesten-auf-284692.html

Stuttgart. Es begann als „Friedensmarsch“, endete aber mit Krawallen. Am Sonntagabend flogen in der Stuttgarter Innenstadt Steine und Böller auf Polizisten, mehr als 50 wurden verletzt, 24 Menschen wurden festgenommen. Grund der Ausschreitungen war ein Zusammenstoß von 700 türkischen Demonstranten und 600 Gegendemonstranten, die sich aus Kurden und Linksaktivisten zusammensetzten. Dass 800 Polizisten die Eskalation nicht verhindern konnten, zeigt, wie aufgeladen die Stimmung ist.

Angesichts der Gewalt äußerte die Polizeigewerkschaft GdP die Ansicht, dass Baden-Württemberg die Scheu vor dem Einsatz von Wasserwerfern ablegen sollte, die seit dem Konflikt um Stuttgart 21 herrsche.

Das zunehmende Gewaltpotenzial bei solchen Demonstrationen bezeichnet das Landesamt für Verfassungsschutz als „Resonanzaktionen“. Sie seien direkte Folgen von Konflikten zwischen dem Militär und kurdischen Gruppen in der Türkei. „Wenn dort etwas passiert, passiert hier auch etwas“, sagte ein Sprecher. Auch in Baden-Württembergs Innenministerium ist von einer „zunehmenden Emotionalisierung“ die Rede, die mit den innenpolitischen Konflikten in der Türkei zusammenhänge.

Dort eskaliert seit Monaten die Gewalt zwischen der Armee und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Ein mehr als zwei Jahre dauernder Waffenstillstand war im Juli vergangenen Jahres gescheitert. Seit Mitte Dezember geht die Armee massiv gegen Kämpfer der PKK vor, die sich in Städten im kurdisch geprägten Südosten des Landes verschanzt haben. Die PKK und die Regierung machen sich für die Eskalation der Gewalt verantwortlich.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) weist darauf hin, dass es hierzulande keine flächendeckende Radikalisierung gebe. „Es ist falsch, von einem generellen Konflikt zwischen Türken und Kurden zu sprechen“, sagt TGD-Vorsitzender Gökay Sofuoglu.

Auch die Kurdische Gemeinde Deutschland (KGD) distanziert sich von den Auseinandersetzungen. „Es belastet uns, wenn Kurdinnen und Kurden in Deutschland mit Gewalt in Verbindung gebracht werden“, sagt KGD-Generalsekretär Cahit Basar. Er verweist darauf, dass man bereits im vergangenen Jahr in einer Erklärung mit der Türkischen Gemeinde dazu aufgerufen habe, trotz aller Entwicklungen in der Türkei friedlich zu bleiben.

Dass der Aufruf nicht überall Anklang fand, beweisen neben ausartenden Demonstrationen auch Brandanschläge in der Region.

Nachdem im Dezember eine Bücherei der Türkisch-Islamischen Union Ditib in Stuttgart in Brand gesteckt wurde, stand Ende März auch das Gebäude eines türkischen Unternehmens in Heilbronn in Flammen. In beiden Fällen bekannten sich kurdische Gruppierungen per Schreiben im Internet zu den Taten. Sie bezeichneten sich jeweils als „Rachekommando“ und warfen der türkischen Regierung eine Zusammenarbeit mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beziehungsweise „faschistischen Terror“ vor.

Auf türkischer Seite tritt jüngst die Gruppierung „Almanya Yeni Türk Komitesi“ (AYTK; „Neues Türkisches Komitee Deutschland“) in Erscheinung. Sie war dem Innenministerium zufolge Ausrichter der Stuttgarter Demonstration. Die Initiative bezeichnet sich als politisch unabhängig und tolerant: „Wir sind bemüht, alle ins Boot zu holen.“ Cahit Basar von der Kurdischen Gemeinde wirft dem AYTK und ähnlichen Gruppierungen dagegen vor, ein „gefährliches Spiel“ zu treiben und den türkischen Nationalismus in eine multikulturelle Gesellschafttransportieren zu wollen.