
Stellungnahme der Kurdischen Gemeinde Deutschland zur Lage in Syrien ein Jahr nach dem Sturz des Assad-Regimes
Ein Jahr nach dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024 befindet sich Syrien weiterhin in einer tiefen politischen und gesellschaftlichen Umbruchsphase. Die mehr als fünf Jahrzehnte währende totalitäre Herrschaft der Familie Assad endete nicht durch demokratische Prozesse, sondern durch den militärischen Vormarsch oppositioneller Kräfte, die jedoch stark von HTS-dominierten Strukturen geprägt sind.
Der neue Machtfaktor in Damaskus wird maßgeblich von Dschulani (Ahmad al-Shara) beeinflusst – einem ehemaligen Al-Nusra-Kommandeur, der international per Haftbefehl gesucht wurde und keinerlei demokratische Legitimation besitzt, Syrien zu regieren. Aus diesem Grund hat die Kurdische Gemeinde Deutschland vor einigen Wochen beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige gegen Jolani gestellt und im Falle seiner Einreise die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens sowie die Ausstellung eines Haftbefehls beantragt. Ein international gesuchter Terrorist darf nicht politisch anerkannt werden.
Syrien ist ein Vielvölkerstaat, in dem Araber, Kurden, Aleviten, Drusen, Christen und andere Minderheiten seit Jahrhunderten zusammenleben. Heute ist das Land jedoch faktisch zersplittert:
- Im Nordosten kontrollieren kurdische Selbstverwaltungsstrukturen rund ein Drittel des Landes.
- Im Süden haben die Drusen eigenständige Verwaltungssysteme etabliert.
- In den Küstenregionen leben vor allem Aleviten, die zuletzt wiederholt Ziel extremistischer Angriffe wurden.
Darüber hinaus sind zentrale kurdische Gebiete wie Afrin, Serekaniye (Ras al-Ain) und Grispi (Tal Abyad) seit sieben bis acht Jahren völkerrechtswidrig von der Türkei besetzt, was zu systematischen Vertreibungen, massiven Menschenrechtsverletzungen und demografischen Veränderungen geführt hat.
Rückkehr syrischer Flüchtlinge: Bedingungen, Verantwortung und notwendige Reformen
Die Kurdische Gemeinde Deutschland unterstreicht:
Eine Rückkehr syrischer Geflüchteter kann nur dann verantwortbar sein, wenn Syrien grundlegende demokratische, rechtliche und sicherheitspolitische Reformen durchführt.
Dazu gehören:
- Rechtsstaatlichkeit, Schutz vor Verfolgung und das Ende politischer Repression.
- Demokratische Strukturen, freie Wahlen und eine verfassungsrechtlich garantierte Gewaltenteilung.
- Sicherheitsgarantien für Rückkehrende – sowohl in ehemals regimekontrollierten Gebieten als auch in den Krisenregionen im Nordosten oder Süden.
- Schutz vor Milizen, Extremisten und willkürlicher Gewalt.
Die Bundesregierung ist daher gefordert, diplomatischen Druck auszuüben und über Entwicklungszusammenarbeit, Wiederaufbauhilfe und gezielte Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass sichere Lebensbedingungen geschaffen werden, die eine Rückkehr überhaupt erst ermöglichen.
Gleichzeitig gilt klar:
- Straftäter, die erhebliche Verbrechen begangen haben, sollten konsequent abgeschoben werden, sofern dem keine zwingenden menschenrechtlichen Gründe entgegenstehen.
- Für alle anderen muss gelten: Keine Rückkehr in Unsicherheit, Willkür oder politische Verfolgung.
Deutschland sollte aktiv daran mitwirken, normale Lebensverhältnisse in Syrien wiederaufzubauen, damit Menschen, die vor Krieg, Terror und Diktatur geflohen sind, eines Tages in ihre Heimat zurückkehren können – frei, sicher und ohne Angst.
Föderalismus als bestmögliche politische Lösung für Syriens Zukunft
- Für ein stabiles Syrien ist eine föderale Ordnung unerlässlich. Diese muss beinhalten:
- autonome regionale Strukturen,
- verfassungsrechtliche Anerkennung der Kurdinnen und Kurden als nationale Minderheit,
- offizielle Zulassung der kurdischen Sprache,
- garantierte Minderheitenrechte für Aleviten, Drusen, Christen und andere Gruppen,
- absicherte Selbstverwaltungen, die dauerhaft vor extremistischen und autoritären Kräften geschützt werden.
Nur ein pluralistisches, föderales und demokratisches Syrien kann verhindern, dass das Land erneut in Gewalt, Extremismus oder autoritäre Herrschaft abgleitet.
Appell an die internationale Gemeinschaft
Die Kurdische Gemeinde Deutschland fordert die internationale Gemeinschaft – insbesondere Europa und Deutschland – dazu auf,
- die politische Zukunft Syriens nicht extremistischen Kräften wie Jolani zu überlassen,
- die syrische Vielfalt verfassungsrechtlich zu schützen,
- ein Ende der türkischen Besatzung kurdischer Regionen durchzusetzen,
- und die Voraussetzungen für die sichere Rückkehr der Geflüchteten zu schaffen.
Nur auf dieser Grundlage kann ein neuer, friedlicher und demokratischer Staat entstehen.