„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!

Berthold Brecht

Heute vor 29 Jahren verloren fünf Menschen durch einen Brandanschlag im nordrhein-westfälischen Solingen ihr Leben. Saime Genç, das jüngste Opfer, war gerade einmal vier Jahre alt. Die vier, zum Tatzeitpunkt teils noch minderjährigen Täter, gehörten der rechtradikalen Szene der Stadt an und handelten aus ihrem rassistischen und völkischen Weltbild heraus.

Der Anschlag reihte sich in eine Serie von Gewalt gegen Migranti:innen, Vertragsarbeiter:innen und Geflüchtete im Laufe der 1990er Jahre. In den neuen Bundesländern kam es in den beiden vorangegangenen Jahren bereits zu pogromartigen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen und im sächsischen Hoyerswerda, bei denen ehemalige DDR-Vertragsarbeiter:innen aus Mosambik und Vietnam und Geflüchtete aus Rumänien Ziel tagelanger Übergriffe und Hetzjagden durch Neonazis wurden. In beiden Fällen versuchten die Täter die Unterkünfte der Vertragsarbeiter:innen und Geflüchteten zu stürmen und in Brand zu setzen. Dass es dabei keine Todesopfer gab, grenzt an ein Wunder.

Die rassistischen Angriffe durch Neonazis entstanden dabei in einem allgemeinen Klima der Fremdenfeindlichkeit im wiedervereinigten Deutschland. Die starken Veränderungen in den neuen Bundesländern trugen dazu ebenso ihren Teil bei, wie der Unwille in Gesellschaft und Politik, die Herausforderungen des Systemwechsels in weiten Teilen Europas zu bewältigen. In den Ländern des ehemaligen Ostblocks und Ex-Jugoslawiens ging der Wechsel von Diktatur zu Demokratie häufig mit erschreckender Armut und Bürgerkriegen einher. Die daraus resultierenden gestiegenen Flüchtlingszahlen beantwortete die Öffentlichkeit der Bundesrepublik mit einer Asyldebatte, an deren Ende 1993 die Verschärfung des Asylrechts stand und von einer Das-Boot-ist-voll Rhetorik getragen wurde.

Dreißig Jahre später ist die Bundesrepublik nicht mehr dieselbe. Der so genannte Aufstand der Anständigen zu Beginn des neuen Jahrtausends, der Sommer 2015, Angela Merkels „Wir schaffen das“ und die schnelle und unbürokratische Aufnahme ukrainischer Geflüchteter beweisen dies und stimmen uns hoffnungsvoll. Dass unsere Gedenkkultur jedoch nicht ein bloßes Erinnern an längst Vergangenes sein darf, zeigen die Bilder, die uns in den vergangenen Jahren von Pegida-Demonstrationen ereilten, ebenso wie die Wahlerfolge der AfD.

Wir nehmen den heutigen 29. Mai daher zum Anlass, an die fünf ermordeten Solinger Frauen und Mädchen zu erinnern. Das Andenken an Gürsün İnce, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç ist uns Mahnung.