KGD-Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 – Die Linke

In wenigen Wochen ist Bundestagswahl. Die Kurdische Gemeinde Deutschland hat, unter Mitwirkung des Beiratsvorsitzenden Dr. h.c. Herbert Schmalstieg, Wahlprüfsteine erarbeitet und den Parteien mit der Bitte um Beantwortung zugesandt.

Die Wahlprüfsteine behandeln Fragen zur Teilhabe von Menschen mit Migrationsbiographie, zur Asylpraxis, aber auch zur Anerkennung der kurdischen Identität und zum antikurdischen Rassismus. Darüber hinaus wurde die Position der Parteien zur Bedrohung durch den politischen Islam oder zu rassistischen Vereinigungen wie den Grauen Wölfe abgefragt. Angesprochen waren alle im Deutschen Bundestag vertretenen demokratischen Parteien.

Bilden Sie sich selbst eine Meinung! Machen Sie von Ihrem demokratischen Recht Gebrauch und gehen Sie wählen!


Antworten auf die Wahlprüfsteine von Kurdische Gemeinde Deutschland e.V. anlässlich der Bundestagswahl 2021

1) Wie gedenken Sie die politische und soziale Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund hierzulande zu erhöhen? Wie würden Sie dazu beitragen, den Anteil der Menschen mit Migrationsbiografie in Parteiämtern und unter den Mandatsträgerinnen und -trägern Ihrer Partei zu erhöhen?

Wir fordern mit einem Bundespartizipationsgesetz eine Quote, um den Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der öffentlichen Verwaltung entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung zu erhöhen. Im aktuellen Bundestag hat die Linke mit 18,8 Prozent den höchsten Anteil an Abgeordneten mit Migrationshintergrund. Auch in der nächsten Legislaturperiode wird DIE LINKE im Bundestag mit einer entsprechenden Anzahl von Mandatsträger:innen mit Migrationsgeschichte
vertreten sein.

2) Sehen Sie die institutionelle Anerkennung der kurdischen Identität, etwa durch den Gebrauch der kurdischen Sprache in behördlichen Publikationen, einen bundesweiten herkunftssprachlichen Unterricht Kurdisch oder die statistische Erfassung als Kurdinnen und Kurden, als realistische Perspektive?

DIE LINKE hält es für notwendig, dass beispielsweise YEK-KOM und andere Dachverbände, als Vertreter anerkannt werden und Zugang zu migrationspolitischen Gremien im Bund erhalten. Die Bundesrepublik hat hier vieles nachzuholen und muss Kurd:nnen mit ihrer Vielfalt, Kultur und Sprache, ihren Werten und Normen, die schlussendlich ihre Identität ausmachen, anerkennen. Kurd:innen muss die Möglichkeit zur Selbstdarstellung und Artikulation auf politischer und ziviler Ebene gestattet werden. Obwohl Schulbildung Sache der Länder ist gilt es Druck im Bund zu machen, um eine ländereinheitliche Regelung für die Vermittlung von Herkunftssprache Kurdisch (Kurmanci) wie bereits im Bundesland Bremen, Niedersachsen oder Berlin einzuführen.

3) Deutschkurdinnen und -kurden sind in Deutschland von Rassismen unterschiedlicher Couleur und Herkunft betroffen, sowohl vom Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft als auch vom migrantischen Rassismus. Wie gedenken Sie diese unterschiedlichen Ausprägungen des Rassismus zu bekämpfen?

DIE LINKE wendet sich gegen jegliche Ausprägungen von Rassismus und lehnt alle Vorstellungen und politischen Ansätze ab, die von einer Festschreibung der Individuen aufgrund ihrer Kultur oder ihrer angeblichen "Rasse" ausgehen. Rassistische Diskriminierungen im Alltag, im Berufsleben, in der Schule müssen nach Ansicht der LINKEN offen benannt und täglich bekämpft werden. Auch rassistische Strukturen in Behörden und staatlichen Einrichtungen bis hin zu Gesetzen müssen verändert werden. In einer solidarischen Einwanderungsgesellschaft kämpfen wir für gleiche Rechte für alle. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes muss dabei mit mehr Beratungsangeboten zielgruppengerecht, mehrsprachig und barrierefrei ausgestattet sein.

4) Die „Grauen Wölfe“ stehen als größte rechtsextremistische Organisation seit einiger Zeit im medialen Fokus – auch Kurdinnen und Kurden gehören zu ihren Opfern. Wie soll mit der Organisation umgegangen werden, nachdem der Deutsche Bundestag in diesem Jahr einen Verbotsprüfantrag beschlossen hat?

Die LINKE hat im November 2020 im Bundestag den Antrag „Graue Wölfe und deren Vereinigungen in Deutschland verbieten“ und im Februar 2021 eine Kleine Anfrage „Einfluss der Grauen Wölfe auf die türkische Regierungslobby Union Internationaler Demokraten“ im Bundestag gestellt. Anhänger der „Grauen Wölfe“ sind für eine Vielzahl von Morden an politischen Gegnern und Angehörigen von Minderheiten in der Türkei, aber auch im Ausland verantwortlich. In Deutschland haben Anhänger der „Grauen Wölfe“ mehrere Morde und Mordversuche u. a. an türkischen und kurdischen Aktivisten, Anschläge auf Vereine und Einschüchterungen von Oppositionellen sowie Kritikerinnen und Kritikern des türkischen Präsidenten Erdogan einschließlich „türkischstämmiger“ Bundestagsabgeordneter etwa bezüglich der Resolution zum Genozid an den Armeniern zu verantworten. Der türkische Geheimdienst nutzt die „Grauen Wölfe“ nach Kenntnis der will Bundesregierung für „nachrichtendienstliche Belange“ in Deutschland. DIE LINKE will deshalb Graue Wölfe und deren Vereinigungen verbieten.

5) Die Türkei ruft hier lebende türkischstämmige Bürger*innen zur Denunziation kritischer Stimmen auf. Der Geheimdienst MIT hat ein bundesweites Netzwerk aufgebaut. Daher werden viele kurdischstämmige Menschen bei Reisen in die Türkei verhaftet. Was werden Sie gegen diese Einschüchterungsversuche tun?

Die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes MIT in Deutschland, aber auch weltweit sind besorgniserregend und verdeutlichen, dass die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan rechtsstaatlichen Verfahren oder völkerrechtliche Regeln immer öfter ignoriert. Die Bundesregierung muss hier Klartext mit der Türkei sprechen. Kooperationen deutscher Geheimdienste mit dem MIT sind einzustellen. Deutsche Behörden müssen hier lebenden türkischstämmigen Bürger*innen, die von Denunziation und Spitzeltum sowie Nachstellungen durch den MIT betroffen sind, Schutz und Hilfe gewähren.

6) Welche Gefahren gehen vom radikalen politischen Islam für unsere Demokratie aus? Was können Zivilgesellschaft sowie Regierung dagegen unternehmen? In diesem Zusammenhang interessieren uns Ihre Vorstellungen zum Umgang mit der DiTiB, dem Zentralrat der Muslime sowie der Vereinigung Milli Görüs.

Islamismus und Djihadismus stellen eine ernsthafte Gefahr für die Sicherheit und das friedliche Zusammenleben der Menschen in Deutschland dar, für die es keine Toleranz geben darf. DIE LINKE tritt daher dafür ein, dass Staaten wie die Türkei, Saudi-Arabien und Katar, die mit Geldern und Waffen massive Unterstützung für die Vertreibung ihrer islamistischen Ideologie und auch für djihadistische Terrorgruppen leisten, von der Bundesregierung nicht weiter hofiert werden. DIE LINKE tritt für die Ausweitung der Förderung von zivilgesellschaftlichen Projekten zur gezielten Prävention gegen Islamismus und andere Formen religiöser, rassistisch oder kulturalistsich geprägter Intoleranz ein. DIE LINKE tritt dafür ein, die staatliche Kooperation mit Organisationen, die ein Weltbild des religiös begründeten Fanatismus und Islamismus vertreten oder sogar den Einsatz von Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele ansehen, zu beenden und deren vereinsrechtliche Auflösung zu prüfen. Direkt oder indirekt an die türkische Regierung angebundene Islamverbände wie DITIB dürfen keine Partner von Bund und Ländern sein. Solange der Zentralrat der Muslime sich nicht vom Graue-Wölfe-Verband ATIB als einem seiner größten
Mitgliedsorganisationen distanziert, ist dieser Zusammenschluss kein glaubwürdiger Kooperationspartner gegen Rassismus und Rechtsextremismus.

7) Wie kann man die Fluchtursachen von Menschen, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sowohl politisch als auch humanitär bekämpfen? Wie lässt sich die Region, aus der Kurdinnen und Kurden stammen, auch durch deutsche und europäische Außenpolitik dauerhaft und demokratisch stärken?

DIE LINKE tritt für eine konsequente Friedenspolitik ein. Eine solche Politik wäre der beste Beitrag zu einer Stabilisierung und Stärkung der von Kurden bewohnten Regionen ebenso wie ihrer Nachbarn. Dazu gehört für uns ein Verbot von Waffenexporten. Wir wollen ein Waffenexportverbotsgesetz erlassen. Bis dahin wollen wir den Waffenexport in Länder sofort stoppen, die in militärische Konflikte in anderen Staaten involviert sind oder gegen die eigene Bevölkerung vorgehen. Wir finden es skandalös, dass die Türkei trotz mehrfacher völkerrechtswidriger Invasion in Syrien und wiederholten militärischen Vorstößen im Nordirak immer noch Waffen aus Deutschland erhält. Wir schlagen einen sofortigen Waffenexportstopp für die gesamte Region vor. Die Bundesregierung vermeidet es klare Kante gegen den türkischen Präsidenten Erdogan zu zeigen. Genau das wäre aber notwendig, erst recht nach der Einleitung des Verbotsverfahrens gegen die pro-kurdische HDP, die drittgrößte Partei der Türkei. Wir fordern, dass die EU einen EU-weiten Stopp von Waffenexporten in und Finanzhilfen für die Türkei beschließt. Die EU-Verhandlungen über eine Erweiterung der Zollunion wie auch Geheimgespräche über eine Verlängerung des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals mit weiteren Milliardenzahlungen an Erdogan müssen sofort gestoppt werden. Für die Stabilisierung der Region wäre es auch wichtig, dass die mörderischen und konfliktverlängernden Wirtschaftssanktionen der EU (und der USA) gegen Syrien beendet werden. Das Kalkül, die syrische Bevölkerung mit Sanktionen gegen seinen Präsidenten aufzubringen und diesen so zu stürzen, ist zynisch. Die Sanktionen destabilisieren das Land und die gesamte Region und erhöhen die Gefahr, dass es wieder zu Krieg kommt. Deutschland sollte sich stattdessen für politische Verhandlungen in Syrien unter dem nachdrücklichen Bekenntnis zu der territorialen Einheit und Souveränität einsetzen, den Wiederaufbau und humanitäre Hilfe in ganz Syrien unterstützen und sich für die Aufrechterhaltung der kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen im Norden Syriens einsetzen. Die Bundeswehr soll aus dem Einsatz im Rahmen der Anti-IS-Koalition zurückgezogen werden.

8) Die Asylpraxis in Deutschland benachteiligt die kurdischen Asylbewerberinnen und -bewerber. Die Zahlen des BAMF zeigen, dass die Schutzquote von Türkinnen und Türken 2019 etwa bei 74,6 Prozent lag, bei Kurdinnen und Kurden hingegen nur bei 14,5 Prozent. Wie erklären Sie sich diese Schieflage?

Die Ungleichbehandlung von türkischen und kurdischen Asylsuchenden in der Entscheidungspraxis des BAMF ist eklatant und wird durch Anfragen der LINKEN im Bundestag an die Bundesregierung immer wieder kritisch thematisiert. Die Zahlen für das Jahr 2020 sind im Grunde ähnlich wie die genannten Zahlen des Jahres 2019 (vgl. Bundestagsdrucksache 19/26758). Die Bundesregierung antwortete auf eine entsprechende Frage (ebd., Frage 9a), ihr lägen keine Erkenntnisse zur Erklärung der Diskrepanz vor. Asylentscheidungen würden immer im Einzelfall getroffen, die vorgebrachten Asylgründe würden jedoch statistisch nicht erfasst. Über die Gründe der drastisch unterschiedlichen Schutzquoten kann also nur spekuliert werden. Die Kenntnis, ein systematisierender Vergleich und die Bewertung vieler entsprechender Asylbescheide und ihrer Begründungen wäre wichtig, um hierzu fundierte Aussagen aussagen zu können. Eine solche praxisnahe Analyse ist uns leider nicht bekannt.