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DEUTSCHLAND

TÜRKISCH-UNTERRICHT

An deutschen Schulen lernen Kinder zu denken wie Erdogan

Von Annelie Naumann, Tim Röhn
Die Bildungsgewerkschaft GEW hat ihre Kritik am Türkischunterricht durch sogenannte Konsulatslehrkräfte wiederholt.
  • 503 dieser Lehrer unterrichten, entsandt vom türkischen Bildungsministerium, tausende türkischstämmige Schüler.
  • Verteilte Lehrpläne für Türkisch- und islamischen Religionsunterricht tragen laut GEW eine “desintegrative Handschrift“.

Ankaras Kontrollnetz auf die türkische Minderheit in Deutschland reicht weit: Der Geheimdienst MIT bespitzelt Abgeordnete; die türkische Botschaft und die Konsulate schüchtern Oppositionelle ein. Erdogans Einflussnahmen machen auch vor dem deutschen Schulsystem nicht Halt.

Seit 40 Jahren wird in Deutschland Türkischunterricht an staatlichen Schulen angeboten. Viele Tausend türkischstämmige Schüler nehmen das zusätzliche Angebot wahr. Unterrichtet werden sie von sogenannten Konsulatslehrkräften – entsandt und finanziert vom türkischen Bildungsministerium.

Im Unterricht soll es eigentlich um das Erlernen von türkischer Sprache und Kultur gehen – doch die Realität sieht oft anders aus, weiß Doro Moritz, Vorsitzende der Lehrer-Gewerkschaft GEW in Baden-Württemberg.

„Was im muttersprachlichen Unterricht durch Konsulatslehrkräfte gelehrt wird, entzieht sich vollständig der Zuständigkeit und Aufsicht durch unsere Schulbehörden“, sagt sie. Denn über die Inhalte des Ergänzungsunterrichts bestimmen die türkischen Generalkonsulate weitgehend selbst.

Rot-Grün will Türkisch und Arabisch in der Schule

Baden-Württemberg gehört neben Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und dem Saarland zu den acht Bundesländern, in denen Konsulatslehrkräfte eingesetzt werden. Insgesamt sind es nach Recherchen dieser Zeitung 503 Lehrer, die die Schüler unterrichten.

Schon seit Jahren werden Unterrichtsinhalte von Eltern und Gewerkschaften kritisiert, doch gerade in letzter Zeit mehrt sich die Sorge, dass das Lehrpersonal die Schüler im Sinne der Regierungspartei AKP beeinflusst. Berichte häufen sich, wonach der Unterricht als konservativ, nationalistisch und autoritär beschrieben wird.

Denn für Lehrplan und Lehrmaterialien sind vorrangig türkische Behörden verantwortlich. Die Lehrkräfte selbst genießen türkischen Beamtenstatus, betreut werden sie durch die Referate für Schulwesen an den Konsulaten. Die meisten Lehrer gelten als regierungstreu. Sie verfolgen eine politische Agenda, die aus Ankara vorgegeben wird.

Auch im regulären deutschen Schulunterricht kommt es seitens der türkischen Generalkonsulate immer wieder zu versuchter Einflussnahme. Lehrpläne für den Türkisch- und islamischen Religionsunterricht, die der GEW in Nordrhein-Westfalen zugespielt wurden, deuten darauf hin, dass es nicht einzig darum geht, die Muttersprache zu erlernen.

Schule als Angstraum für türkische und kurdische Kinder

„Diese Lehrpläne tragen eine deutlich desintegrative Handschrift“, so Sebastian Krebs, stellvertretender Vorsitzender der GEW in NRW. Sie wirkten nationalistisch-religiös. Die Lehrpläne sollen Anfang des Jahres im Generalkonsulat Düsseldorf verteilt worden sein. Von türkischer Seite wird das bestritten.

Zudem sollen in türkischen Konsulaten Eltern und Lehrer dazu aufgefordert worden sein, regierungskritische Stimmen in Schulen zu melden. Nach Einschätzung des Generalsekretärs der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Cahit Basar, käme dies einem „Super-GAU“ gleich.

Der Geschichtslehrer warnt davor, dass deutsche Schulen für türkische und kurdische Schüler zu Angsträumen werden könnten, in denen die freie Meinungsäußerung eingeschränkt wird.

Auch der Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverband, Heinz-Peter Meidinger, hält die zunehmende türkische Einflussnahme im deutschen Schulsystem für ein ernstes Problem. Der Direktor eines bayerischen Gymnasiums fordert das Aus für den türkischen Konsulatsunterricht – und auch eine Beendigung der Zusammenarbeit mit Ditib.

Der von der Regierung in Ankara gesteuerte Verband berät mehrere Bundesländer bei der Erstellung von Lehrplänen, der Zulassung von Lehrkräften und bei deren Ausbildung. In Hessen ist der Verband Hauptansprechpartner des Bildungsministeriums. Meidinger sieht in Ditib keinen verlässlichen Partner mehr. Der Verband übe bewusst Einfluss auf türkische Lehrkräfte aus. „Das ist mit unserer Verfassung unvereinbar“, so Meidinger.

Nach Informationen der „Welt am Sonntag“ hat ein türkisches Konsulat in Baden-Württemberg bereits im letzten Jahr in den Bildungsplan für den alevitischen Religionsunterricht eingegriffen und mit einer Beschwerde dafür gesorgt, dass der Begriff „Dersim-Genozid“ aus dem Lehrplan gestrichen wurde. 1938 brachte die türkische Armee in Dersim mehr als 60.000 kurdische Aleviten um.

Das zuständige Ministerium in Stuttgart hat den Vorgang bestätigt. „Diese Veränderung von historischen Tatsachen auf Zuruf vom türkischen Konsulat empfinden wir als Zensur. Diese Herangehensweise kennen wir aus der Türkei und sind darüber empört, dass ein freiheitlich-demokratischer Staat wie die Bundesrepublik Deutschland sich diesem Duktus beugt“, kritisiert Aziz Aslandemir, stellvertretender Bundesvorsitzender der Alevitischen Gemeinde Deutschland, den Vorgang.

Cemal Yildiz, zuständiger türkischer Botschaftsrat für Bildungswesen, bestreitet die Vorwürfe der GEW und des Philologenverbandes. „Von einer Beeinflussung oder Indoktrination kann weder für jetzt noch in der Vergangenheit die Rede sein“, sagt Yildiz. Das muttersprachliche Unterrichtsmodell existiere seit den 70er-Jahren und „funktioniert sehr gut“. Fragt sich nur, für wen.

Quelle: https://www.welt.de/politik/deutschland/article163327629/An-deutschen-Schulen-lernen-Kinder-zu-denken-wie-Erdogan.html