KGD-Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 – SPD

In wenigen Wochen ist Bundestagswahl. Die Kurdische Gemeinde Deutschland hat, unter Mitwirkung des Beiratsvorsitzenden Dr. h.c. Herbert Schmalstieg, Wahlprüfsteine erarbeitet und den Parteien mit der Bitte um Beantwortung zugesandt.

Die Wahlprüfsteine behandeln Fragen zur Teilhabe von Menschen mit Migrationsbiographie, zur Asylpraxis, aber auch zur Anerkennung der kurdischen Identität und zum antikurdischen Rassismus. Darüber hinaus wurde die Position der Parteien zur Bedrohung durch den politischen Islam oder zu rassistischen Vereinigungen wie den Grauen Wölfe abgefragt. Angesprochen waren alle im Deutschen Bundestag vertretenen demokratischen Parteien.

Bilden Sie sich selbst eine Meinung! Machen Sie von Ihrem demokratischen Recht Gebrauch und gehen Sie wählen!


Antworten auf die Wahlprüfsteine von Kurdische Gemeinde Deutschland e.V. anlässlich der Bundestagswahl 2021

1) Wie gedenken Sie die politische und soziale Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund hierzulande zu erhöhen? Wie würden Sie dazu beitragen, den Anteil der Menschen mit Migrationsbiografie in Parteiämtern und unter den Mandatsträgerinnen und -trägern Ihrer Partei zu erhöhen?

Wir brauchen aktive Demokrat:innen – ganz gleich, woher sie kommen und welcheSprache sie sprechen. Eine offene und solidarische Gesellschaft ist nur dann weiterhin möglich, wenn die Zugänge zur Teilhabe für alle Bürger:innen weit geöffnet sind. Es ist daher ein Ziel der SPD-Bundestagsfraktion, Teilhabe und Engagement der Bürger:innen mit Einwanderungsgeschichte zu stärken.

Deshalb wollen wir ein Partizipations- und Integrationsgesetz voranbringen. Ziel dieses Gesetzes ist es, eine Kultur der Anerkennung und Förderung von Vielfalt zu festigen und jede Form von Diskriminierung, Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen. Dieses Gesetz soll die Abschaffung von Benachteiligungen und Bevorzugungen von allen Menschen in Deutschland auf Grundlage des allgemeinen Gleichheitssatzes in Artikel 3 des Grundgesetzes garantieren und die soziale, gesellschaftliche und politische Teilhabe der Menschen mit Einwanderungsgeschichte von Anfang an fördern.

Außerdem wollen wir: das Wahlrecht auf kommunaler Ebene für dauerhaft ansässige Nicht-EU-Staatangehörige; das Prinzip der Mehrstaatigkeit; eine vielfaltsorientierte Organisationsentwicklung der Verwaltung; einen Partizipationsrat; Förderung von Migrant:innenselbstorganisationen; städtebauliche Integrationspolitik; Förderung von Begegnungsorten.

2) Sehen Sie die institutionelle Anerkennung der kurdischen Identität, etwa durch den Gebrauch der kurdischen Sprache in behördlichen Publikationen, einen bundesweiten herkunftssprachlichen Unterricht Kurdisch oder die statistische Erfassung als Kurdinnen und Kurden, als realistische Perspektive?

Wir wollen die soziale, gesellschaftliche und politische Teilhabe aller Bürger:innen. Inhalte wie behördliche Publikationen in den Sprachen der größten Migrationsgruppen – dazu zählen die Kurdinnen und Kurden – anzubieten und auszubauenm, kann hierbei helfen.

Grundsätzlich glauben wir, dass es wichtig ist, bei Mehrsprachigkeit die Familiensprache des Kindes in den Sprachlernprozess in unseren Bildungseinrichtungen einzubeziehen und auch den Erwerb der Schriftsprache der Familiensprache zu fördern. Das Beherrschen der Muttersprache ist für den Erwerb der Zweitsprache Deutsch eine wichtige Brücke. Die vorhandene Mehrsprachigkeit ist ein großes Potenzial, das es zu nutzen gilt. Mehrsprachige Angebote unterstützen Menschen bei der Bildung ihrer Identität.

Die statistische Erfassung als Kurdinnen und Kurden erfolgt bereits heute, z.B. im Rahmen der Asylantragstellung.

3) Deutschkurdinnen und -kurden sind in Deutschland von Rassismen unterschiedlicher Couleur und Herkunft betroffen, sowohl vom Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft als auch vom migrantischen Rassismus. Wie gedenken Sie diese unterschiedlichen Ausprägungen des Rassismus zu bekämpfen?

Wir stehen für eine Gesellschaft des Respekts, in der wir uns gegenseitig anerkennen, auch wenn wir in vielerlei Hinsicht verschieden sind. Diese Gesellschafft ist konsequent gegen jede Form von Diskriminierung und Rassismus. Wir gehen nachdrücklich gegen jede Form von Rassismus vor.

Dafür stärken wir die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und modernisieren das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Wir wollen die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Verfolgung von Rassismus, damit entsprechende Straftaten konsequenter erfasst und geahndet werden.

Maßnahmen der politischen Bildung, Prävention und Deradikalisierung sind ebenfalls von großer Bedeutung. Diese wollen wir stärken und ausbauen. Bis zuletzt haben wir uns für ein Demokratiefördergesetz eingesetzt, das eine Grundlage für die langfristige Förderung von zivilgesellschaftlichen Maßnahmen auch gegen Rassismus wäre. Wir werden uns in der nächsten Legislaturperiode erneut dafür einsetzen.

Wir wollen die Leerstellen zu verschiedenen Ausprägungen des Rassismus schließen und entsprechende Forschungseinrichtungen fördern. Hierfür ist die maßgebliche Einbeziehung von Menschen mit Rassismuserfahrung unerlässlich.

4) Die „Grauen Wölfe“ stehen als größte rechtsextremistische Organisation seit einiger Zeit im medialen Fokus – auch Kurdinnen und Kurden gehören zu ihren Opfern. Wie soll mit der Organisation umgegangen werden, nachdem der Deutsche Bundestag in diesem Jahr einen Verbotsprüfantrag beschlossen hat?

Es war richtig, dass der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung durch seinen Beschluss vom 18.11.2020 (19/24388; Nationalismus und Rassismus die Stirn bieten – Einfluss der Ülkücü-Bewegung zurückdrängen) aufgefordert hat, gegen die Vereine der Ülkücü-Bewegung (auch als Graue Wölfe bekannt) Organisationsverbote zu prüfen. Zuständig ist der Bundesminister des Innern.

Uns ist die fortwährende Gefahr und Bedrohung, die von der Ülkücü-Bewegung unter anderem für Kurdinnen und Kurden ausgeht, bewusst. Auch deshalb stehen wir weiterhin zu dieser Aufforderung und wollen den Kampf gegen den Rechtsextremismus in der nächsten Legislaturperiode noch entschiedener fortführen. Verfassungsfeindliche Organisationen werden wir verbieten.

5) Die Türkei ruft hier lebende türkischstämmige Bürger*innen zur Denunziation kritischer Stimmen auf. Der Geheimdienst MIT hat ein bundesweites Netzwerk aufgebaut. Daher werden viele kurdischstämmige Menschen bei Reisen in die Türkei verhaftet. Was werden Sie gegen diese Einschüchterungsversuche tun?

Der Versuch der Einflussnahme durch ausländische Geheimdienste auf die türkischstämmige Bevölkerung sowie die Beobachtung von Einzelpersonen und
Vereinigungen, die – mutmaßlich oder tatsächlich – in Opposition zur gegenwärtigen türkischen Regierung stehen ist mit unserer Vorstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar.

Wir beobachten diese Entwicklungen mit großer Sorge. Die SPD hat dies gegenüber türkischen Regierungsvertreter*innen wiederholt angesprochen und wird dies auch künftig tun. Auf europäischer Ebene bemühen wir uns um ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der EU sowie im Europarat.

6) Welche Gefahren gehen vom radikalen politischen Islam für unsere Demokratie aus? Was können Zivilgesellschaft sowie Regierung dagegen unternehmen? In diesem Zusammenhang interessieren uns Ihre Vorstellungen zum Umgang mit der DiTiB, dem Zentralrat der Muslime sowie der Vereinigung Milli Görüs.

Legalistisch-islamistische Organisationen verfolgen Ziele, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind. Ihre auf lange Sicht
ausgerichtete Strategie birgt daher das Gefahrenpotential, dass islamistisches Gedankengut in die Gesellschaft getragen und diese grundlegend verändert wird.
Hiervor müssen wir unsere Gesellschaft und Demokratie schützen, ohne unsere Werte zu verraten.

Im Umgang mit Religions-Verbänden achten wir darauf, dass verfassungsfeindliche Einflüsse auf unsere Gesellschaft unterbunden werden, ohne die
Religionsfreiheit zu missachten und Mitbürger:innen zu stigmatisieren.

Bei dem Großteil der Verbände haben wir keine Zweifel daran, dass sie freiheitlich- demokratische Ziele verfolgen. Hier sind Dialog und Zusammenarbeit der beste Weg, um gemeinsame Ziele zu erreichen.

Gemeinsam mit den islamischen Verbänden und Gemeinden, die unabhängig vom Ausland sind, wollen wir z. B. Programme gegen Islamismus erarbeiten. Auch befürworten wir das Engagement der Bundesländer und der Bundesregierung, z. B. die Ausbildung von Imamen in Deutschland und den Ausbau von Lehre und Forschung in islamischer Theologie an deutschen Universitäten voranzutreiben.

Mit Organisationen, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, kooperieren wir nicht. Im Gegenteil: Verfassungsfeindliche Organisationen werden wir verbieten!

7) Wie kann man die Fluchtursachen von Menschen, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sowohl politisch als auch humanitär bekämpfen? Wie lässt sich die Region, aus der Kurdinnen und Kurden stammen, auch durch deutsche und europäische Außenpolitik dauerhaft und demokratisch stärken?

Um die Lebenssituation der Menschen vor Ort zu verbessern, unterstützt Deutschland seit 2014 verstärkt Gemeinden im Nordirak dabei, Geflüchtete und Binnenvertriebene wie auch Rückkehrer*innen zu versorgen. Deutschlands Engagement geht dabei über die reine humanitäre Hilfe hinaus.

Die SPD begrüßt gezielte Maßnahmen zur Förderung und Stärkung der fragilen Demokratie in Irak bzw. den kurdischen Gebieten. Neben der Unterstützung
zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie Programmen zur Stärkung der politischen Bildung und Teilhabe liegt der Fokus dabei auf der demokratischen Legitimation durch die Unterstützung inklusiver, rechtsstaatlicher Institutionen und Förderung transparenter Wahlprozesse.

Eine SPD-geführte Bundesregierung wird sich weiterhin für die fortdauernde und konsequente Einhaltung der Menschenrechte von Kurdinnen und Kurden einsetzen, die in den vier Staaten, in denen sie hauptsächlich leben (Türkei, Irak, Syrien und Iran), in verschiedener Form bedroht sind. Wir setzen uns weiterhin für Frieden und Stabilität in der Region, einschließlich der Einhaltung des humanitären Völkerrechts ein. Der Einsatz für die Menschenrechte der Kurdinnen und Kurden bedeutet jedoch keine Unterstützung des kurdischen politischen Nationalismus.

8) Die Asylpraxis in Deutschland benachteiligt die kurdischen Asylbewerberinnen und -bewerber. Die Zahlen des BAMF zeigen, dass die Schutzquote von Türkinnen und Türken 2019 etwa bei 74,6 Prozent lag, bei Kurdinnen und Kurden hingegen nur bei 14,5 Prozent. Wie erklären Sie sich diese Schieflage?

Eine Entscheidung im Asylverfahren ist immer eine Einzelfallentscheidung. Das BAMF prüft aufgrund des jeweiligen, individuell zu bewertenden Sachverhalts bei jedem einzelnen Asylantrag, inwieweit die Voraussetzungen für einen Schutzstatus vorliegen. Dabei kommt es auf die individuell vorgetragene Fluchtgeschichte an. Die Herkunft aus einem bestimmten Land, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten (ethnischen) Gruppe oder ein bestimmter Fluchtgrund führen nicht automatisch zu einer Anerkennung oder zu einer Ablehnung des Asylantrags. Das BAMF ermittelt in der persönlichen Anhörung Art und Schwere der im Herkunftsland drohenden Maßnahmen und prüft dann, ob Antragsteller:innen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon betroffen waren oder bei Rückkehr sein werden. Gegenwärtig fliehen aus der Türkei vermehrt Anhänger der Gülen-Bewegung bzw. Personen, die in der Folge des Putsches verfolgt werden. Bei ihnen liegen oftmals solch individuelle Schutzgründe vor, sodass es zu einer hohen Anerkennungsquote kommt.