Offener Brief
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, verehrte Dr. Angela Merkel,
auf dem ersten Globalen Flüchtlingsforum in Genf werden Sie morgen auch mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan zusammentreffen. Wir hoffen inständig darauf, dass Sie diese Begegnung dazu nutzen werden, eine deutliche Kritik an der verheerenden türkischen Außen- und Innenpolitik zu üben – anstelle diese durch das Inaussichtstellen weiterer Gelder im Rahmen des EU-Türkei Flüchtlingsabkommens sowie weiterer Zusammenarbeit zu honorieren.
Die Türkei hat längst bewiesen, dass sie in der Flüchtlingsfrage kein verlässlicher und an den universellen Menschenrechten orientierter Partner ist. Sie instrumentalisiert die Versorgung von Geflüchteten für die eigenen Zwecke und ist mit ihrem Einmarsch in Syrien, der Schließung ihrer Grenzen sowie mit der Verfolgung kritischer Stimmen im eigenen Land inzwischen selbst zu einem Verursacher neuer Fluchtbewegungen geworden. Eine Zusammenarbeit unter diesen Vorzeichen beschädigt unsere europäische Integrität.
Nicht länger hinnehmbar ist etwa die willkürliche Inhaftierung und von einer Ausreisesperre betroffene deutsche Staatsbürger*innen unter dem Vorwurf der Terrorpropaganda. Sie ist Ausdruck einer türkischen Willkürjustiz, mittels derer kritische Stimmen eingeschüchtert und bei den Verhandlungen um den sogenannten „Flüchtlingsdeal“ mit der EU Druck ausgeübt werden soll. Hier muss eine umgehende diplomatische Lösung gefunden werden.
Als einer der Gastgeber des Forums muss von Deutschland in diesem Zusammenhang ein glaubwürdiges Signal ausgehen: Sich für eine solidarische und langfristige internationale Flüchtlingspolitik einzusetzen, heißt auch, sich endlich aus der Abhängigkeit von Autokraten und ihren populistischen „Deals“ zu befreien und Fluchtursachen bekämpfen.
Eine weitere Tragödie, die in Ihrem Gespräch mit dem türkischen Präsidenten nicht unerwähnt bleiben darf, stellt die türkische Militäroffensive und der Aufbau eines türkischen Protektorats in Syrien dar – trotz internationaler Proteste, vor allem aus der Zivilgesellschaft, verlief der völkerrechtswidrige Angriff der Türkei von politischen Sanktionen weitgehend ungehindert: erneut mussten Hunderttausende Menschen fliehen und Terror und Gewalt erleiden. Die von dschihadistischen Milizen unterstützte türkische Operation bedeutet eine existenzielle Bedrohung für diverse religiöse und ethnische Minderheiten in dieser Region. Die Türkei strebt eine Politik der ethnischen Säuberung in der Region an. Das damit einhergehende Wiedererstarken des IS ist ein herber Rückschlag für unsere demokratischen Werte.
Werden weiter Gelder an eine autokratische Regierung Erdogan bezahlt, um Menschen auf der Flucht aus Europa auszusperren, verraten wir damit einen wesentlichen Grundsatz humanitärer Hilfe und verlieren unsere moralische Glaubwürdigkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Bundesvorstand der Kurdischen Gemeinde Deutschland e.V.