Meine Israelreise

Ein Reisebericht von Serzan Celik, Vorsitzender der Kurdischen Jugend Deutschland e.V.

Es ist nicht leicht, einen Reisebericht über Israel zu schreiben, ohne politisch zu werden oder zumindest auf die Politik einzugehen.

Bevor ich über meine Reise nach Israel schreibe, möchte ich, dass Sie wissen, dass ich die politischen Gemengelage im Nahen Osten durch die „kurdische Brille“ sehe: die bringt mich immer wieder dazu, zu vergleichen und Parallelen zu meinem eigenen Volk zu ziehen.

Der Anfang meiner Geschichte beginnt mit meiner Fahrt zum Flughafen. Dies schreibe ich nicht, um weit auszuholen, sondern es ist eine traurige Wahrheit, dass sich ein Flug nach Israel durch besondere Sicherheitsmaßnahmen von allen anderen Flügen auf dieser Welt unterscheidet. Am Flughafen München fliegen die Flüge nach Israel von einem gesonderten Terminal ab. Dieser Terminal befindet sich in einem abgeschiedenen Teil des Münchner Flughafens und wird von einer Mauer umschlossen, bewacht von einigen Polizisten mit Sturmgewehren und einem Polizeipanzer. Schon vor dem Ankommen wird man einige Gedanken nicht los: Warum ist das nötig? Wieso müssen Juden noch immer um ihr Leben fürchten, nur weil sie Juden sind? 

Sicherheitsmaßnahmen haben diese Reise vom Anfang bis zum Ende geprägt.

Dreieinhalb Stunden später steige ich aus dem Flugzeug aus. An der Passkontrolle werde ich gefragt, wie die Namen meines Vaters und meines Großvaters lauten. Nachdem ich den Beamten sagte, dass mein Opa Süleyman heißen würde, wurde ich eine Stunde aufgehalten. Ich musste in einem Büro meine Unterlagen vorzeigen und einige Fragen beantworten. Im Grunde war das Prozedere weder abwertend noch entwürdigend. Wenn man über die besondere Situation des Staates Israels nachdenkt, hat man Verständnis für die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen. Später erfuhr ich, dass Kontrollen dieser Art sehr oft vorkommen. 

Nachdem ich grünes Licht bekommen hatte, fuhren wir zum Hotel. Es lag an einem wunderschönen Strand mit Palmen und türkisem Wasser. Wegen des Eurovision Songcontests herrschte überall eine ausgelassene Stimmung. Zum Abendessen stand im Rahmen des Interchange Programms der American Jewish Agency (AJC) schon unsere erste Begegnung an.  

Bevor ich darüber spreche, komme ich um eine Randbedingung nicht herum: Das Essen in Israel ist ein kulinarisches Fest für die Geschmacksknospen und allein der Reise wert!

Unser erstes Gespräch führten wir mit Dr. Amichai Magen, Dozent und Leiter des Departments für „Politische Entwicklung“ am Institut für Terrorismusbekämpfung des Interdisziplinären Kollegs (IDC) Herzliya. Herr Dr. Magen stieg mit folgenden Worten in seinen Vortrag ein: „Dieses Restaurant könnte überall auf der Welt sein, in Berlin, Wien, Paris oder New York. Es ist jedoch in Tel Aviv, das durchgehend von Raketen bedroht ist, die auf uns gerichtet sind.“  

Zunächst verlief das Gespräch, wie man es sich vorstellt, mit Begrüßung und Vorstellungsrunde sowie allgemeinen Informationen zu Land, Menschen und ihren Problemen. Bis einer der Programmteilnehmer eine Frage zu den rechten Tendenzen in Deutschland stellte. Die Antwort kam direkt und unverblümt: Angesichts rechter Tendenzen in Europa solle man sehr vorsichtig sein in Bezug auf die rechten Tendenzen in Israel, sagte Dr. Magen. „Europa hat in Ungarn, Polen, Österreich, Schweden und Frankreich ein viel größeres rechtes Problem. Europa habe 500 Millionen Einwohner und stürzte wegen 1,5 Millionen Flüchtlingen in die Krise. „Hat Europa nicht weitaus größere Probleme, als Israel zu kritisieren“, fragte Dr. Magen in die Runde. Meiner Meinung nach sind rechte Tendenzen überall auf der Welt eine Besorgnis erweckende Situation, jedoch hatte der Dozent nicht ganz unrecht: Tatsächlich haben wir in Europa eine erschreckende Entwicklung, die den Israelis und Juden in Europa Sorgen bereitet.

Im weiteren Verlauf des Abends sprachen wir noch über die Wirtschaft und natürlich über die Gesellschaft. Tel Aviv sei seit drei Jahren zur Stadt mit den schönsten Menschen weltweit gewählt worden und Israel als Ganzes auf Platz 11 des Rankings der glücklichsten Menschen. Doch kein Grund zur Besorgnis. Auch wenn wir Deutschen denken, dass wir gefühlt auf Platz 100 sind, kann ich die Leser beruhigen: Wir sind auf Platz 17.

Vor der Knesset – Einkammerparlament des Staates Israel in Givat Ram, Jerusalem.

Tag 2

In der Früh starteten wir mit dem Bus in Richtung Gaza. Es wird einem erst vor Ort klar, dass Gaza nur etwas mehr als eine Autostunde von Tel Aviv entfernt ist. Man muss sich immer vor Augen halten, dass Israel ein sehr kleines Land ist. Vom Norden bis zum Süden misst das Land 470 Kilometer, an seiner breitesten Stelle 135 Kilometer und an seiner schmalsten Stelle nur 15 Kilometer. Das bedeutet auch, dass Kurzstreckenraketen jeden Punkt in Israel mit Leichtigkeit erreichen können. 

An der Grenze zu Gaza angekommen, waren wir zu Gast in einem Kibbuz in Nahal Oz, nur drei bis vier Kilometer von der Grenze zu Gaza entfernt. Eine Dame, die fast schon ihr ganzes Leben in dieser Kommune lebt, erzählte uns. Es war interessant zu hören, wie der Kommunismus im Alltag funktionierte, auch wenn es im Kleinen war und im größeren Rahmen nicht realisierbar ist. Emotional wurde sie, als sie von der Zeit in den 1970er Jahren sprach. Sie sagte, dass die Grenzen damals relativ offen waren und viele Palästinenser bei ihnen auf den Feldern und in den Produktionsstätten arbeiteten. Am Abend gingen sie nach Gaza, weil es dort die besseren Falafel gab. Gaza, so beschrieb die Dame, war wie eine x-beliebige arabische Stadt am Mittelmeer. Es wäre eine „Win-Win-Situation“ gewesen. Doch während und nach der zweiten Intifada kam, sprach sie mit einer bedrückten Stimme. Über die Raketeneinschläge von Gaza auf den Kibbuz, über die Todesängste, die sie und ihre Familie hatten. Wissenswert ist, dass trotz des israelischen Raketenabwehrsystems „IRON DOME“ die Siedlungen an den Grenzen Israels nicht geschützt sind. Daher stehen in den Siedlungen in regelmäßigen Abständen kleine Schutzbunker. Mir persönlich wurde unwohl bei dem Gedanken, dass bei einem Raketenangriff aus Gaza Menschen sterben, die nichts für die Situation können und sich bei einem Vergeltungsangriff auf Gaza das gleiche traurige Schicksaal ereignet. Im Grunde ist die aktuelle Zeit eine „Lose-Lose-Situation“.

Nach dieser Unterhaltung ging es mit dem Bus direkt zum Grenzposten der Israel Defence Force(IDF) in HaDarom. Wir wurden von einem ranghohen Offizier begrüßt, der auch Veteran mehrerer bewaffneter Konflikte war. Im Hintergrund hörten wir Gewehrschüsse von den Truppenübungsplätzen und sahen auf Gaza. Der erste Satz des Befehlshabers war: „Wir sind an der Grenze zu Gaza. Habt keine Angst, solange ich nicht wegrenne. Wenn ich loslaufe, dann rennt auch zu den Bunkern.“ Es waren die gleichen kleinen überirdischen Bunker wie im Kibbuz auch. Eine surreale Vorstellung, dass Raketen jeden Moment auf uns regnen könnten.

Der Offizier sprach über den Verlauf des Konflikts und über die gegenwärtigen Umstände in der Grenzregion. Auf die Frage, was passieren würde, wenn ein Palästinenser sich der Grenze nähern würde sagte er, es gäbe 3 Phasen: In der ersten Phase wird der Eindringling gewarnt. In der zweiten Phase mit hohen Schallwellen beschossen, so dass er eigentlich außer Gefecht gesetzt wird. In der dritten Phase wird er mit Gummigeschossen beschossen oder auch mit Tränengas. Auf die Frage, ob auch scharfe Munition verwendet zum Einsatz käme, sagte der Kommandant, dass solange das Leben von Soldaten nicht akut bedroht sei, dies nicht erfolge und strafbar sei. Ein weiteres Thema waren die Tunnel, die von Gaza Richtung Israel gebuddelt würden. Diese würden nicht, wie von mir gedacht, gesprengt, sondern von oben nach unten blockiert. Dazu grabe eine bis zu 12 Meter tiefe Mauer in den Boden, denn ab 12 Meter beginne das Grundwasser.

Trotz allem sprach sich der Kommandant interessanter Weise für den Frieden aus. Einer aus der Delegation fragte, ob das angesichts der Hamas und der Radikalisierung der umliegenden Staaten nicht allzu optimistisch sei. „Ich bin ein sehr optimistischer Mensch“, entgegnete der Kommandant. Es wirkte fast schon komisch, dass ein Mann, der in so vielen bewaffneten Konflikten gekämpft hatte, trotzdem noch Optimist war oder vielleicht sogar genau deswegen. Aus seinen Worten und Analysen konnte man die Sinnlosigkeit dieses Konfliktes raushören. Zumindest ging mir das so.

Nach dem Gespräch wurden wir zu einem Helikopterlandeplatz gefahren, von wo aus wir mit Helikoptern zur libanesischen Grenze flogen. 

Israel aus der Luft könnte ein eigenes Kapitel in einem Buch füllen, jedoch möchte ich mich hier kurzfassen. Wir flogen vom fast äußersten Süden bis zum höchsten Norden Israels, nach HaZafon. Der Flug dauerte nur knapp über zwei Stunden, was einem wieder verdeutlichte, wie klein Israel eigentlich ist. Wegen des Mangels an Siedlungsflächen grenzt, vor allem am Mittelmeer, eine Stadt an die nächste. Es kommt einen so vor, als ob die Israelis jeden Quadratmeter bewirtschaften. Plantagen mit Netzen und Gewächshäusern, in denen Getreide, Gemüse und Obst wie Mangos, Bananen und Datteln wachsen. Rebstöcke für Weintrauben und sogar Aquakulturen, in denen Fisch und Garnelen gezüchtet werden. Israel produziert nicht nur für den eigenen Markt, sondern exportiert sogar, von Wein über Olivenöl bis hin zu Bier wird in Israel vieles hergestellt. Alle Agrarkulturen bedienen sich der neusten Technologie. Bewundernswert für so eine junge Nation, dachte ich mir.

Angekommen in HaZafon wurden wir zu einem Aussichtspunkt gebracht, an dem uns ein anderer Offizier, ebenfalls Veteran verschiedener Konflikte, über diesen besonderen Ort erzählte. Es ist das Dreiländereck zwischen dem Libanon, den Golanhöhen und Israel. Unser Gastgeber erzählte uns, dass auf der libanesischen Seite ca. 135.000 Raketen auf Israel gerichtet seien. Er sprach über mögliche Angriffsstrategien der Hizbollah, welche ähnlich wie die Hamas Tunnel graben würde. Doch anders als in Gaza, das in einer Ebene liegt, wäre es in der hügeligen Region um den Libanon nicht möglich mit der gleichen Strategie wie in Gaza zu arbeiten. Deshalb würde man auch kleine Sprengungen einsetzen. Aus den Worten des Militärs entnahm ich, dass für die israelischen Armee die Hizbollah die größte Bedrohung darstellt. Ein Arsenal von 135.000 Raketen kennen wir in Europa nur aus der Zeit des Kalten Krieges. Auf unsere Frage, wie eine so schwache Wirtschaftsmacht wie der Libanon so viele Raketen haben könne, die einer Miliz gehören, war die Antwort wie schon vermutet: durch den Iran. Man erzählte uns auch von einem Bündnis zwischen der radikal sunnitischen Hamas und der radikal schiitischen Hizbollah, die sich im Kriegsfall zusammenschließen würden. Ein Zweckbündnis nach der Devise „Der Feind meines Feindes, ist mein Freund“. Gleichzeitig gäbe es auch einen geheimen Krieg zwischen der Hizbollah und der IDF: Einen Informations- und Spionage-Krieg, in dem es um das Ausspähen des Gegners und dessen Aktivitäten ginge. 

Nach dieser Interessanten Konversation, in der wir auch erfuhren, dass hier das einzige Gebiet Israels für alpine Sportarten wie Skifahren sei, fuhren wir zu einem Forschungs- und Bildungszentrum mit dem Namen Alma, wo wir detailliert über die außenpolitischen Situationen aufgeklärt wurden und auch das Thema Syrien und die Auswirkungen des Krieges auf Israel behandelt wurden. Wir sprachen mit zwei Angestellten, die zu den Minderheiten Israels zählen. Zu einem mit einem jungen Mitarbeiter, der israelischer Araber war und eine klare Meinung zu Hamas und Hizbollah hatte, und einem Drusen, ebenfalls eine Minderheit innerhalb Israels. Interessant ist, dass ca. 20 Prozent der israelischen Bevölkerung Araber ausmachen und somit auch 20 Prozent Muslime sind. Nach zwei Stunden Exkursion flogen wir wieder nach Tel Aviv zurück und überflogen den See Genezareth und die Stadt Nazareth. Heilige Orte der Christenheit. Es war ein seltsames Gefühl auf diesen sagenumwobenen Orte zu blicken, an dem Jesus gelebt haben soll. Es ist trotz der Erzählungen und Geschichten ein realer Ort, eine reale Stadt mit Menschen, die sich in ihrem täglichen Leben von uns nicht sonderlich unterscheiden. 

Zurück in Tel Aviv stand am Abend noch ein Dinner in der Residenz des österreichischen Botschafters an, bei dem auch die deutsche Botschafterin anwesend war. Wir unterhielten uns über die aktuellen und zukünftigen Ereignisse. Bei all den offiziellen Gesprächen geschah für mich etwas sehr Menschliches: Als ich mich der Botschafterin vorstellte, fragte sie mich, woher ich denn ursprünglich sei. Es war keine unterschwellige Frage, wie man sie als Deutscher mit Migrationshintergrund das ein oder andere Mal gestellt bekommt, sondern vielmehr ein Interesse an meinem Werdegang und an der Geschichte meiner Vorfahren. Ich erklärte ihr, dass ich Nachfahre von Gastarbeitern und politisch Asylsuchenden sei. Unsere Botschafterin Dr. Susanne Wasum-Rainer, eine Dame mit viel Lebenserfahrung, wünschte mir alles Gute für meine Zukunft und merkte fürsorglich an: „Bitte grüßen Sie Ihre Eltern von mir“. Ich verabschiedete mich von ihnen und ging mit meiner Gruppe und zündete mir auf dem Weg eine Zigarette an. Kurz danach kam unsere Botschafterin und legte den Arm auf meine Schulter und ging mit mir einige Schritte: „Das ist aber nicht sehr gesund“, worauf ich antwortete: „Wie soll man dieses Leben sonst ertragen?“ Lächelnd antwortete sie: „Vielleicht mit Schokolade? Wobei das ist auch nicht so gesund“. Danach verabschiedete sie sich wieder und ging zu Fuß zu ihrer Residenz, mit den Händen in den Hosentaschen versunken. Ein Moment der Menschlichkeit inmitten von politischen Dialogen in einer der größten Konfliktregionen der Welt, der mich dazu brachte stolz zu sagen: „Das ist meine Botschafterin“. Eine erfahrene, starke und trotzdem sehr fürsorgliche Frau im Nahen Osten, die uns Deutsche wahrlich würdig vertritt.

Tag 3

Wieder begann der Tag früh und wir fuhren mit unserem Bus zu der Stadt, die Juden, Christen und Moslems heilig ist. Nach Jerusalem. 

Felsendom

Angekommen in Jerusalem stiegen wir an der Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem aus. Es ist nicht leicht, sachlich zu bleiben und sich nicht von dem Leid und der Trauer der über 6 Millionen ermordeten Juden und ihrer Angehörigen überwältigen zu lassen. Es kommt einem vor wie eine unfassbare Geschichte, doch trotzdem ist dies alles passiert. Persönlich ging mir das Leid der unzähligen Kinder sehr nahe, an die in einer eigenen Halle erinnert wurde. Durch einen Gang kommt man in eine dunkle, von Spiegeln durchzogene Halle, in der kleine Lichter brennen und wie tausende Sterne wirken. Im Dunklen werden die Namen der unzähligen ermordeten Kinder vorgelesen. Trauer und Schweigen durchziehen die Luft. Es ist schwer in Worte zu fassen, wie sehr einen dieses dunkle Kapitel der Geschichte berührt.

Nach dieser Erfahrung fuhren wir in das israelische Außenministerium, wo wir mit einem Diplomaten in einem intensiven Gespräch Einblick in die komplexen außenpolitischen Fragen Israels und in die Sicherheitsinteressen des Staates Israels bekamen. Was hervorstach war die ständige Sorge über den Iran und dessen Expansionsdrang im Nahen Osten. Wieder stand als Hauptbedrohung die Hizbollah da. Auf die Frage, wie groß Israels Interesse an einem Regierungswechsel in Syrien sei, antwortete man uns, dass Israels Statement sei: „Der Feind meines Feindes ist der Feind meines Feindes.“ Nach dem Motto wir mischen uns nicht in die Krise unserer Nachbarn ein. Sehr interessant angesichts der Tatsache, dass eine israelische Einmischung in einen Konflikt gleichbedeutend wäre mit einer Eskalation und einen Flächenbrand in der Region auslösen könnte.  

Nach der Unterhaltung ging es nach einem intensiven und emotionalen Tag zurück in unser Hotel. 

Auch wenn das Tagesprogramm vorbei war, ging ich auf eigene Faust durch Jerusalem spazieren und unterhielt mich mit verschiedenen Menschen. Fast immer kam die Frage, woher ich käme und was meine Herkunft sei. Ich kann sagen, dass die Israelis eine große Sympathie für das kurdische Volk hegen, nicht zuletzt, da viele Menschen in Kurdistan Juden geholfen haben, nach Israel zu fliehen. Nicht unwesentlich ist sicher auch die Tatsache, dass etwa 500.000 kurdische Juden in Israel leben.

Tag 4

Der vierte Tag begann mit einem Kurztrip nach Ramallah, dem Hügel Gottes, wie es auf Arabisch heißt, und der Hauptstadt des Westjordanlandes. Wir waren bei einem kleinen Unternehmen, in dem vorwiegend junge palästinensische als Programmiererinnen und Programmierer arbeiteten. Wir sprachen mit den Frauen und Männern über ihre Projekte, die Zusammenarbeit mit internationalen Konzernen wie Siemens und über ihre Sicht der Dinge. Interessant war, dass als jemand aus unserer Delegation fragte, wie sie die Spannungen zwischen Terroristen und der IDF sehen, ein junger Herr antwortete, dass es für sie zu allererst keine Terroristen seien sondern Freiheitskämpfer. Ein Beispiel dafür, dass es in keinem Konflikt der Erde nur Schwarz und Weiß gibt, sondern eher viele verschiedene Grautöne. Trotz des politischen Statements gab es eine allgemeine palästinensische Unzufriedenheit über die eigene Führung, wobei das Thema Korruption stark dominierte. Persönlich fand ich es interessant, dass in der Firma viele junge Frauen auf eine selbstbestimmte Weise gleichwertige Arbeit leisteten, in denselben Räumen arbeiteten und auch in Führungspositionen aufgingen. Wobei es Frauen sowohl mit als auch ohne Kopftuch gab. Ein Einblick, der uns Europäer leider erstaunt, und uns zeigt, dass wir viele Dinge unbewusst vorurteilsbehaftet betrachten. 

Nach einem Mittagessen und Gespräch mit einem palästinensischen Aktivisten, der sich seit Jahrzehnten für die palästinensische Sache eingesetzt, fuhren wir zurück nach Jerusalem und waren zu Gast im israelischen Parlament, der Knesset. Wir konnten an zwei Gesprächen mit Abgeordneten sowohl von der Regierungspartei als auch von der Opposition teilnehmen. Es war interessant zu sehen, dass es natürlich viele weitere innerisraelische Fragen zu diskutieren gibt, wie steigende Mietpreise, Militärausgaben oder auch die Legalisierung von Marihuana. Wirtschaftliche und sozioökologische Themen sind die vorwiegenden Probleme der israelischen Gesellschaft. Natürlich ist das Thema Sicherheit trotzdem allgegenwärtig.

Tag 5

Am fünften und letzten Tag stand Sightseeing auf dem Programm. Wir fuhren zur Altstadt von Jerusalem, zum wohl berühmtesten Ort Israels: dem Tempelberg mit der Klagemauer und dem Felsendom sowie der Al-Aqsa-Moschee.

An der Klagemauer herrschte eine unglaublich fröhliche wie eindrucksvolle Stimmung. Zwischen Bar-Mizwa-Gesängen und betenden Rabbinern konnte ein jeder, ob jüdisch oder nicht, ein Gebet an der Mauer verrichten. Es ist beeindruckend und zugleich faszinierend sich vorzustellen, wie diese Mauer seit Jahrtausenden den Gebeten von unzähligen Betenden lauscht.

Nach einem Gebet an der Klagemauer hatte ich als einziger unserer Delegation, womöglich auch durch mein Aussehen, die Chance auf den Zutritt zum Tempelberg und den heiligen Städten des Islam. Es stimmte mich ein wenig traurig, dass ich dieses zweifelhafte Privileg hatte und andere in meiner Gruppe nicht. Der Zutritt ist für Nicht-Muslime leider bis auf bestimmte Anzahl pro Tag, die angemeldet sein muss, verboten. Aufgrund der Sicherheitslage durfte ich nicht alleine gelassen werden und so begleitete einer unserer Führer mich bis zum Eingang. Am Eingang zu den Treppen des Berges wurde ich zwei Mal abgelehnt und musste Überzeugungsarbeit leisten, um dennoch reingelassen zu werden. Das erste Mal von israelischen Militärs und das zweite Mal vom palästinensischen Wachpersonal. Nach dem Aufsagen des islamischen Glaubensbekenntnisses und der ersten Sure des Koran konnte ich auf das Plateau, wo sich der Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee befinden. Ein sehr eindrucksvoller Ort mit architektonisch umwerfenden Gebäuden, die kunstvoll verziert waren. Ich ging weitere Stufen hoch zum Felsendom und wurde ein drittes Mal abgewiesen und überzeugte durch das gleiche Prozedere das Wachpersonal, mich in den Dom zulassen. Trotz der Mühen, um endlich in den Dom hereingelassen zu werden, war es die Mühe allemal wert. Ein unglaublich schönes Gebäude mit reichverzierten Wänden aus jeglichen Blautönen samt einer goldenen Kuppel, die den für Muslime heiligen Felsen umschlingen, von wo aus der Prophet Mohammed in den Himmel aufgestiegen sein soll. Durch die blau und lila schimmernden Fenstergläser strahlen farbenfrohe Sonnenstrahlen herein. Die innere Kuppel wird gestützt mit facettenreichen Verzierungen an den Wänden, aus denen der Kahle Fels herausragt. Ein Anblick, den ich gerne mich dem Rest meiner Delegation geteilt hätte. Nach dem Felsendom ging ich noch in die Al-Aqsa-Moschee und verweilte auch in ihr. Auch hier waren die feinen, kunstvoll verzierten Wände und Decken ein Blickfänger. Doch die Stimmung war viel angespannter auf dem Tempelberg als an der Klagemauer. Möglicherweise lag es an der Hitze und dem Ramadan, welche natürlich die allgemeine Stimmung beeinträchtigten, trotzdem hatte ich ein unwohles Gefühl und war zum Teil erleichtert, wieder bei meiner Gruppe zu sein.

Grabeskirche

Die dritte heilige Stätte, die wir dann besuchten, war die Grabeskirche. Der Ort, an dem Jesus Christus gekreuzigt worden sein soll. Unzählige Pilger aus der ganzen Welt tummelten sich, wuschen und küssten die Stelle, an der das Kreuz gestanden haben soll. An den Wänden der Kirche erblickt man zahlreiche Spuren verschiedener Epochen der Christenheit. Kunstvoll verzierte Wände aus Mosaiken sowie Gold aus der byzantinischen Zeit und der Zeit der Gründung der Kirche spiegeln Spenden und Einflüsse verschiedener christlicher Konfessionen wider. Ein Hauch von Vergangenheit und Gegenwart. Ein Loch in der Kuppel warf Sonnenstrahlen auf das Heilige Grab. 

Vor der Grabeskirche versammelten wir uns, während gleich nebenan von einem Minarett der islamische Gebetsruf erschallte. 

Es war der Zeitpunkt gekommen, zum Flughafen zu fahren und kurz darauf verabschiedeten wir uns alle, bevor wir alle wieder zurückflogen. 

Resümee

Jerusalem ist eine sehr eindrucksvolle Stadt und der einzige Ort, den die drei abrahamitischen Religionen als heilig ansehen. Das bringt auch Konflikte mit sich. Man kann die Spannung in der Luft greifbar spüren und würde sich doch eine Zeit der Versöhnung wünschen.

Israel ist ein wunderschönes Land mit vielen herzlichen Menschen und einer imposanten Geschichte. Vielschichtig und vielseitig wandelt es zwischen Lebenslust und permanenter Bedrohung. Es ist eine Oase, in der nicht alles grün ist. Aber die westlichen Werte sind hier vertreten, in einer Region, die immer mehr in Chaos und Extremismus abdriftet. Doch am Ende dieser Reise wird mir klar, dass auch im Heiligen Land am Ende aller Konflikte der Frieden stehen muss.