Islamwissenschaftler relativiert türkische-nationalistische und islamistische Strukturen in Deutschland
Der Deutschlandfunk berichtet über ein Forschungsprojekt der Universität Erlangen, das online veröffentlichte Predigtmanuskripte von DITIB, Millî Görüş und dem Verband der Islamischen Kulturzentren ausgewertet hat.
Das Ergebnis: Die Predigten enthielten demnach „völlig akzeptable Inhalte“. Diese Darstellung wirft jedoch Fragen auf:
Die Studie analysiert nur veröffentlichte Manuskripte – also eine stark kuratierte Auswahl. Was tatsächlich in den Moscheen gesagt wird, wie das soziale Umfeld der Gemeinden geprägt ist oder Aktivitäten außerhalb von Predigten (wie Jugendarbeit, Frauenarbeit, politische Netzwerke) verlaufen, bleibt unberücksichtigt. So berichten insbesondere Kurd:innen immer wieder von Fällen, in denen in Moscheen offen zum Sieg der Türkei gegen Kurd:innen gepredigt wird.
Dass DITIB und die Islamische Gemeinde Millî Görüş (IGMG) die enge Verbindungen zur türkischen Regierung haben, bleibt im Beitrag unbenannt. Auch die politische Ausrichtungen – etwa ihr türkischer Nationalismus oder ihre autoritär-islamistische Positionen – werden nicht erwähnt.
Es ist kaum nachvollziehbar, wie ausgerechnet die IGMG, eine vom Verfassungsschutz beobachtete Organisation mit klaren Bezügen zur Muslimbruderschaft und einer islamistisch-politischen Agenda, im Beitrag als positives Beispiel hervorgehoben wird, nur weil sie vereinzelt Themen wie den Klimawandel anspricht.
In anderen aktuellen Studien wie zuletzt der Forschungsstelle Islam und Politik in Münster wird deutlich, dass rund ein Fünftel der befragten Muslime eine emotionale Verfassung zeigt, die Radikalisierung begünstigen kann – einschließlich antisemitischer, antiwestlicher oder gewaltlegitimierender Einstellungen. Diese Perspektive fehlt in der aktuellen Berichterstattung.
Hinzu kommt: Viele kurdische, säkulare oder queere Muslime und Musliminnen kritisieren seit Jahren, dass ihre Erfahrungen in den Debatten kaum wahrgenommen werden. Auch ihre kritischen Stimmen gegenüber diesen Verbänden finden im Beitrag keinen Raum.
Zudem wird im Beitrag behauptet, in den analysierten Predigten werde zwar über Gaza gesprochen, jedoch ohne das Existenzrecht Israels abzusprechen. Diese Aussage lässt wesentliche Aspekte israelbezogenen Antisemitismus außer Acht. Religiös codierte Formen der Delegitimierung Israels, etwa durch Dämonisierung oder Gleichsetzungen mit absolutem Bösen, sind in manchen religiösen Kontexten durchaus verbreitet – auch ohne dass das Existenzrecht wörtlich bestritten wird. Gerade im Umfeld von DITIB und der türkischen Religionsbehörde Diyanet, der DITIB direkt untersteht, ist diese Thematik relevant. Diyanet-Chef Ali Erbaş, der maßgeblich für die inhaltliche und personelle Ausrichtung der DITIB verantwortlich ist, hat seit dem 7. Oktober 2023 mehrfach Aussagen getätigt, in denen Israel auf eine Weise dargestellt wird, die antisemitische Feindbilder bedient – darunter Vorstellungen von Vernichtung, Schuldverlagerung und religiös aufgeladener Konfrontation. Dass jemand, der in mehreren Predigten den Tod Israels herbeiphantasiert hat, hier Einfluss auf die DITIB hat, wird im Beitrag nicht berücksichtigt. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit israelbezogenem Antisemitismus müsste solche Bezüge mitdenken; gerade vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen.
Eine offene und sachliche Auseinandersetzung mit islamischen Gemeinden in Deutschland ist wichtig. Dazu gehört auch, Verbände nicht vorschnell zu entlasten – und unterschiedliche muslimische Perspektiven sichtbar zu machen. Es geht nicht um Einzelmeinungen, sondern um reale politische Einflussnahmen, konservative Milieus und autoritäre Strukturen.