Neue Provokationen: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mischt sich mittlerweile auch in den deutschen Wahlkampf ein.

Neue Provokationen: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mischt sich mittlerweile auch in den deutschen Wahlkampf ein. © AFP

Die deutschen Politiker gehen mit der Türkei immer schärfer ins Gericht. Das geht Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, jedoch nicht weit genug.

Quelle: merkur.de

München – Nazi-Vorwürfe, inhaftierte Menschenrechtler und Journalisten. Und dann die Festnahme des Kölner Schriftstellers Dogan Akhanli. Das deutsch-türkische Verhältnis ist schwer belastet. Im Interview fordert Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, wirtschaftlich mehr Druck auszuüben. „Die Türkei hat sich nicht über Nacht in ein Unrechtsregime verwandelt“, sagt er. „Auch die EU hat zu lange weggeschaut – und trägt daher eine Mitverantwortung.“

 

Die Bundesregierung hat den Ton gegenüber Recep Tayyip Erdogan verschärft. Reicht das?

 

Toprak: Nein. In der Türkei gibt es keine unabhängige Justiz mehr. Die Presse ist gleichgeschaltet. Über 150.000 Menschen sind aus dem Staatsdienst entlassen worden. Die Türkei ist kein Partner mehr. Sondern unser Gegner. Die deutschen Politiker müssen das endlich begreifen – und ihre Politik neu ausrichten.

Was schlagen Sie vor?

Toprak: Ein Beispiel: Die EU hat in den vergangenen Jahren fast fünf Milliarden Euro an die Türkei gezahlt. Das nennt sich Heranführungshilfe, weil das Land offiziell noch immer Beitrittskandidat ist. Völlig absurd. Es darf keine weiteren Zahlungen geben. Zumal Erdogan seit Jahren kein Interesse mehr an einer EU-Mitgliedschaft hat. Es darf auch keine Erweiterung der Zollunion geben.

Das ist aber keine alleinige Entscheidung der deutschen Politik.

Toprak: Stimmt, aber auch Deutschland kann wirtschaftlichen Druck ausüben. Schon jetzt läuft die Wirtschaft in der Türkei nicht mehr besonders. Übrigens: Erdogans Anhängern geht es zwar nicht um Demokratie und Menschenrechte. Aber sehr wohl darum, was monatlich im Geldbeutel landet. Indirekt könnte man auf diese Art also Erdogans Machtbasis schmälern.

Wirtschaftlich gesehen mag das stimmen. Aber was ist mit der Drohung, Millionen Flüchtlinge nach Europa zu schicken?

Toprak: Diese Drohkulisse wirkt. Erdogan hat verstanden, dass er eine europäische Krise auslösen kann. Aber die Türkei blufft. Sie ist wirtschaftlich und politisch mehr von Europa abhängig als umgekehrt.

Auch innenpolitisch fährt der türkische Staatschef einen harten Kurs. Vor allem gegen Mitglieder der Gülen-Bewegung …

Toprak: … ohne die er nie so weit gekommen wäre. Beide waren Verbündete. Erdogan brauchte Gülens gut ausgebildete Anhänger, um die alten Eliten im Staat zu ersetzen. Erst 2013 kam der Bruch. Es ist kompliziert: Einerseits findet gerade eine Hexenjagd statt. Andererseits wäre es falsch, Gülens Anhänger nur als Opfer zu sehen.

Auch die Kurden, die in der Türkei knapp ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, gelten Erdogan als Feind. Warum?

Toprak: Nach dem Bruch mit Gülen brauchte Erdogan neue Partner. Er hat sich mit den Ultranationalisten verbündet, die in der Kurden-Frage für einen knallharten Kurs sind. Der nächste Schritt war das Ende des Friedensprozesses. Danach hat Erdogan endgültig erkannt, dass die Kurden seinen Systemwechsel zu einem Ein-Mann-Regime nicht mittragen. Seither sieht Erdogan auch die kurdische Partei HDP als Feind. Deren Vorsitzender Selahattin Demirtas sitzt seit Monaten im Gefängnis.

Arbeitete einst für Grünen-Chef Cem Özdemir:  Ali Ertan Toprak ist Mitglied der CDU und seit 2006 Teilnehmer des Integrationsgipfels der Bundesregierung. © fkn

Arbeitete einst für Grünen-Chef Cem Özdemir:  Ali Ertan Toprak ist Mitglied der CDU und seit 2006 Teilnehmer des Integrationsgipfels der Bundesregierung. © fkn

Es gibt auch noch die Untergrundorganisation PKK. Sind das Terroristen?

Toprak: 

Die Türkei und Deutschland stufen die PKK als Terrororganisation ein. Aufgrund der türkischen Kurdenpolitik, deren Maxime die Unterdrückung und Verfolgung der kurdischen Bevölkerung darstellt, hat die PKK ihre Waffen bis heute nicht abgelegt. Aber wer die PKK-Gewalt kritisiert, muss auch den Staatsterror der Türkei kritisieren. Es braucht eine friedlich-demokratische Lösung. Wie viele Kurden habe auch ich gehofft, dass die 2012 gegründete HDP auf legalem Weg im Parlament die kurdischen Interessen vertreten könnte. Mit der Verhaftung ihrer Abgeordneten ist dieser Traum geplatzt.

Nun treibt Erdogan den Umbau des Landes voran. Hat er ein Ziel?

Toprak: Er will die Türkei zur Regionalmacht im Nahen Osten machen, später zur Weltmacht – mit ihm als neuem Anführer der islamischen Welt. Aber meiner Einschätzung nach sind diese Träume gescheitert. Die Konfrontation in der Außenpolitik ist vor allem innenpolitisch motiviert. Die Erzählung lautet: ,Seht her, ich bin ein starker Führer, der sich vom Westen nichts sagen lässt.‘ Ich fürchte, dass Erdogan wie Muammar al-Gaddafi in Libyen oder Saddam Hussein im Irak als wirrer Despot endet.

Viele Türken haben das Land verlassen, auch nach Deutschland. Wie gelingt deren Integration?

Toprak: Das ist ja größtenteils die Elite des Landes. Da sehe ich keine großen Probleme bei der Integration. Anders ist das übrigens bei manchen Deutsch-Türken, die schon lange hier leben – und unsere Werte ablehnen. Da unterstützt teils die dritte oder vierte Generation der Einwanderer Erdogan und seinen Kurs.